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heit und Sündigkeit der Welt erklärt wird. Ueber einen gewissen, dem Johannes eigenthümlichen Gebrauch des iva wird bei verschiedenen Veranlassungen geredet, namentlich zu Joh. 15, 13, ohne dass jedoch die Sache irgendwo mit völliger Klarheit abgemacht würde. Wir möchten sagen: Es findet sich im Johannes der Sprachgebrauch häufig, dass nach cinem Demonstrativ oder demonstrativ bezeichneten Substantiv das dazu gehörige Prädikat bald mit őt, bald mit va eingeführt wird. Jenes geschieht, wenn ein solches Prädikat als wirklich vorhanden; dies, wenn es als gewollt, gewünscht, beabsichtigt dargestellt werden soll. Beispiele mit öt sind: 1 Joh. 1, 5. 5, 11. 14. 4, 9. Dagegen mit va 1 Joh. 3, 12. 5, 3. Joh. 17, 3. Sodann auch Joh. 15, 13. Sollte gesagt werden: Grössere Liebe hat niemand, als die ich zeige dadurch, dass ich mein Leben lasse u. s. w. so würde öz erfordert werden. Da aber va gebraucht ist, ist der Sinn: Grössere Liebe hat niemand als die, welche sich zu zeigen hat darin, dass man sein Leben lässt u. s. w. Ganz ähnlich ist 3 Joh. 4 μειζοτέραν τούτων οὐκ ἔχω χαραν, ἵνα ȧzoów z. t. λ., grössere Freude habe ich nicht als die, ἀκούω τ. welche mir, wie ich wünsche, daher kommen soll, dass ich seine u. s. w. Mit dr würde derselbe Satz sagen: Grössere Freude habe ich nicht als die, welche ich deshalb empfinde, dass u. s. w. Vergl. auch Vergl. auch Joh. 15, 8 ἵνα καρπὸν πολὺν φέρητε, wo der Sinn ist.: Darin will mein Vater verherrlicht seyn, dass ihr viele Frucht bringet; während öz xaoïòv z. v. 2. ausdrückt: Mein Vater wird bereits wirklich verherrlicht dadurch, dass ihr u. s. w. Etwas anders ist die Sache Joh. 15, 17, wo man bei dem ταῦτα ἐντέλλομαι ὑμῖν, ἵνα κ. τ. λ. nur das Verbum in einem etwas allgemeinern Sinne zu nehmen braucht, um dem va ganz seine gewöhnliche Bedeutung zu vindiciren. Jesus hat nämlich v. 12 gesagt: dass ist mein Gebot, dass ihr euch liebet, wie ich euch geliebt. Darauf folgt eine Schilderung seiner Liebe v. 13-16. Daran schliesst sich v. 17 sehr natürlich die rückweisende Erinnerung: dies Alles sage ich euch und zwar in ermahnender Weise zu dem Ende, dass ihr euch lieben sollt.

Die erwähnte Vorschnelligkeit zeigt sich auf verschiedene Weise, theils darin, dass über wirkliche Schwierigkeiten zu leicht hinweggegangen wird, theils darin, dass erst mit Fleiss Schwierigkeiten erhoben werden, dann aber doch die Geduld fehlt, sie wieder zu beseitigen. Zu leicht und zwar insbesondere mit der Grammatik wird es z. B. genommen Matth. 13, 2, wo zu den Worten aus%20s inì tòv alyaπᾶς ὄχλος ἐπὶ λòv čistýza ohne weiteres gegen Fritzsche und Winer

bemerkt wird, dass es eine Subtilität sey, hier noch in dem Accusativ die Anschauung der Bewegung festhalten und erklären zu wollen: das Volk stand über das Ufer hin. Allein, wenn auch diese Erklärung verfehlt seyn sollte: so scheint doch wirklich auch in den Temporibus von forŋu, welche intransitive Bedeutung haben, mitunter die Anschauung einer Bewegung, wie sie in den Tempp. von transitiver Bedeutung offenbar vorhanden ist, durchzuschimmern. Vgl. 2 Chr. 34, 31 torn o Baviheds ènì tòv orthov, wofür 2 Kōg. 23, 3 nods tov oτúhov, er stand, d. i. er trat zur Säule hin; oder Dan. 12, 1 6 koτyzws inì toùs viovs τοῦ λαοῦ σου, der zu den Söhnen deines Volkes stehet, d. i. sich zu ihnen stellt, ihnen beisteht. Darnach könnte man auch an obiger Stelle erklären: das Volk trat ans Ufer hin. Aehnlicher Weise wird es Matth. 21, 42 ein übertriebener Purismus genannt, wenn Fritzsche u. a. das autŋ in der dort citirten Psalmstelle auf das vorhergehende κεφαλὴ γωνίας beziehen und nicht als Neutrum nehmen, wie das hebr. gewiss zu nehmen ist, da doch die LXX eben dieses nir durch jenes αὕτη wiedergegeben haben. Alleinob die LXX darum wirklich als Neutrum genommen und in dieser Bedeutung haben ausdrücken wollen, ist noch die Frage und muss geradezu in Abrede gestellt werden, so lange nicht sonst Stellen beigebracht werden, durch welche der Gebrauch des aürn als Neutrum für weiter kann belegt und nachgewiesen werden. In der Regel geben die LXX das hebr. n durch Touro und tauta, wenn sie es nicht ganz weglassen. Vgl. Jud. 15, 6. 2 Kög. 9, 37. Job. 6, 27. Jes. 47, 8. Auffallend ist, dass Dr. de Wette selbst bei einer andern Gelegenheit zu Luc. 11, 33 den Gebrauch des Femininums fürs Neutrum nach hebr. Weise sehr kurz als unmöglich zurückweist. Bei dem σκόπει, μὴ -OTIV Luc. 10, 35 dürfte allerdings die berührte Bemerkung von Hermann nicht in aller Schärfe zutreffen; aber ein Unterschied bleibt doch zwischen der Construction des un mit Conjunctiv und Indicativ, wie im Deutschen zwischen diesen beiden Phrasen: Siehe zu, dass nicht das Licht Finsterniss sey; und: Siehe zu, ob auch das Licht Finsterniss ist. Uebrigens können diese Beispiele zugleich zeigen, wie leicht doch die Ansicht von der grammatischen Nachlässigkeit der biblischen Schriftsteller zu weit führen kann; wiewohl anzuerkennen ist, dass unser Commentar nur Ausnahmsweise dariu fehlt. Der bisher besprochenen allzu leichten Behandlung tritt anderswo eine allzu peinliche gegenüber, die aber doch zuletzt mit jener das gemein hat, dass die rechte Ruhe und Ausdauer zur Lösung hier der selbst

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gemachten wie dort der wirklichen Schwierigkeiten fehlt. Vornehmlich ist das der Fall bei vielen Gelegenheiten, wo die von den Evangelisten überlieferten Reden und Gedanken nach ihrem innern Sinn und Gehalt erörtert werden und wir können es nicht bergen, dass manche rasch absprechende Urtheile der Art uns wahrhaft verletzend erschienen sind, dass wir uns auch nicht wundern können, wenn dieselben etwa dazu beigetragen haben, Hn. Dr. de Wette hin und wieder den Vorwurf der Hyperkritik zuzuziehen. Besonders ungerecht ist uns das über die Parabel vom reichen und armen Manne Luc. 16, 19 Bemerkte vor gekommen. Dort wird der Evangelist beschuldigt, dass nach seiner im ersten Theil dieser Parabel dargelegten Ansicht der Reichthum schon an sich zur Hölle und eben so die Armuth zum Himmel führe, ganz abgesehen von allem sittlichen Verhalten. Diese Beschuldigung ist hart genug, da hier dem Evangelisten ein sehr roher Gedanke aufgebürdet wird, nicht nur von dem Geiste des N. T., sondern bereits von dem des alten weit entlegen ist. Denn selbst im A. T. dürfte sich nirgends eine so grob äusserliche Meinung von der Verdienstlichkeit der Armuth und der Strafbarkeit des Reichthums nachweisen lassen. Da überdies auch Hr. Dr. de Wette nachher in dem zweiten Theil der Parabel eine ethische Beziehung anerkennt: so hätte er billig schon deshalb Bedenken tragen mögen, dieselbe dem ersten Theile ganz abzusprechen. Es mag zugegeben werden, dass sie hier durchaus nicht sichtlich hervortritt. Darum aber lässt sich doch wohl eine Tendenz der Parabel denken, bei der vorläufig das sittliche Verhalten der darin auftretenden Personen als nicht zur Sache gehörig konnte ausser Acht gelassen werden, ohne dass sich darauf gleich behaupten liesse, der Evangelist selbst habe dasselbe als gleichgültig angesehen. Der Lehrgehalt der Parabel sey z. B. dieser:,,Du sollst das Schicksal eines Menschen nicht vor seinem Ende preisen, es überhaupt nicht beurtheilen nach dem, was er in dieser Welt erfährt. Denn manchem geht es hier wohl, dem es dort übel geht und umgekehrt. Willst du dir aber selbst ein gutes Schicksal für die Zukunft sichern, es gehe dir einstweilen wohl oder übel: so thue bei Zeiten Busse, halte die Gebote, sowie Moses und die Propheten." Bei einer solchen Fassung erklärt sich die Oekonomie der Parabel aufs beste. Erst wird nur der Wechsel, den das Schicksal der Menschen erleiden kann, geschildert, noch abgesehen von der Ursache, die dabei zu Grunde liegt. Hernach aber wird auf diese zurückgewiesen, um

in

zur Besonnenheit und zeitigen Busse zu ermahnen. Aehnliches gilt von Matth. 12, 26, wo die Beweisfüh rung im Munde Jesu unzulänglich genannt wird, weil das Reich des Satans niemals in sich einig sey und darum doch bestehe. Eben so gut liesse sich auch schon der dort beigebrachte Spruch von den weltlichen Reichen ungeschickt finden, da ja auch in diesen überall viel Uneinigkeit vorhanden ist, ohne dass sie deshalb gleich zu Grunde gehen. Hier aber sieht leicht ein jeder, welch ein Unterschied ist, ob etwa die Bürger eines Reiches nur in allerlei Privatstrei tigkeiten unter einander verwickelt sind, oder ob sie sich in politische Factionen theilen, welche sich über die Verfassung und Verwaltung des ganzen Reiches nicht verständigen können und von denen daher immer die eine hintertreibt und stört, was von der andern zur Förderung der Zwecke des ganzen Reiches unternommen wird. Nur eine Uneinigkeit der letzteren Art droht einem solchen Reiche Untergang. Dasselbe gilt vom Reiche des Satans. Mögen die Diener desselben sich immer unter einander hassen und verfolgen, darum besteht sein Reich freilich, so lange sie nur wenigstens im Gehorsam gegen ihren Oberherrn, in der Beförderung und Erhaltung seiner Herrschaft, der Feindschaft gegen alles Gute einig sind. Würden sie aber auch hierin von einander divergiren und ein Theil von ihnen den Satan vom Throne zu stürzen suchen, während der andere bemüht wäre, ihn darauf zu befestigen; dann wäre auch im Reich des Satans eine solche politische Uneinigkeit ausgebrochen, bei welcher es nicht mehr bestehen könnte, und das ist das Verhältniss, auf welches Jesus bei seiner Beweisführung sieht. Er geht von der Voraussetzung aus, dass die Herrschaft des Satans um so mehr gefördert wird, je grösser die Zahl der Seelen ist, welche von seinen Dienern, den Dämonen, überwältigt und besessen werden. Angenommen nun auch, die Dämonenwürden sich unter einander den Besitz dieser oder jener Menschenseele noch so streitig machen, sich darum aufs heftigte entzweien: darum könnte die Herrschaft des Satans dennoch fortgehen, ja, sie müsste zuletzt immer gewinnen bei einem solchen Streit, der doch im Grunde nur ein besonderer Eifer in seinem Dienste wäre. Wenn aber ein Theil der Dämonen selbst auf die Befreiung der Menschenseelen ausgehen würde, wie die Feinde Jesu in ihrer Anklage supponiren, dann herrschte im Reiche des Satans Aufruhr und Empörung, es wäre wirklich in sich getheilt (usion) und durch sich selbst bedroht.

(Die Fortsetzung folgt.)

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ERGÄNZUNGSBLATTER

ALLGEMEINEN

BIBLISCHE LITERATUR.

ZUR

LITERATUR-ZEITUNG

April 1840.

LEIPZIG, in d. Weidmann. Buchh.: Kurzgefasstes exegetisches Handbuch zum Neuen Testamente,

von Dr. W. M. L. de Wette u. s. w.

(Fortsetzung von Nr. 28.)

-Andere Beispiele einer zu weit getriebenen Bedenk

lichkeit finden sich bei Matth. 10, 25, wo die Thatsache vermisst wird, dass Jesus von seinen Feinden Beelzebub genannt sey, da die Beschuldigung, dass er die Teufel austreibe mit Beelzebub nicht dafür gelten könne. Ferner bei Luc. 2, 22, wo gefragt wird, nach welcher Regel das Volk erkannt haben möge, dass Zacharias ein Gesicht gesehen, als ob dies zu pressen und nicht bei dem allgemeineren Gedanken zu bleiben wäre, das Volk habe an dem ganzen Bezeigen des Mannes gesehen, dass ihm etwas Ausserordentliches begegnet sey. Desgleichen zu Luc. 8, 5, wo es unpassend gefunden wird, dass von dem Samen gesagt ist, er scy zertreten worden, statt dass von dem Wege hätte gesagt werden sollen, er habe den Samen nicht aufgenommen; als wenn nicht Ersteres nur die Folge und weitere Beschreibung des Letztern wäre.

Zu den Stellen endlich, die mehr oder weniger als ungelöste, wenn nicht als unauflösbare Probleme stehen bleiben, gehören namentlich Matth. 11, 43-46. 26, 45. Luc. 5, 36. 13, 32. 33. 22, 36. Marc. 9, 49. 14, 72. Joh. 21, 23. Nun ist es freilich nicht zu verlangen, dass ein Commentar alle und jede Schwierig keit, welche der zu erklärende Schriftsteller bietet, auf vollkommen genügende Weise lösen müsse; es ist sogar die Aufrichtigkeit desjenigen Exegeten zu loben, welcher das, was ihm einstweilen noch problematisch erscheint, auch in dieser problematischen Gestalt lässt und nicht statt dessen sich gebehrdet, als habe er eine gewisse, zuverlässige Lösung mitzutheilen, die er doch nicht hat. Allein dennoch will es uns bedünken, als würde unser Commeutar befrie

digendere Resultate geliefert haben, wenn bei seiner Abfassung nicht eine gewisse Eile gewaltet hätte. Rec. kann es nicht für seine Obliegenheit halten, hier eine weitere Erledigung der bezeichneten Schriftstellen zu versuchen; doch erlaubt er sich, seine Ansicht wenigstens über einige derselben auszusprechen. Zuerst über Luc. 22, 36. Indem Jesus dort sagt: ó wv Baλávτiov x. t. 2., so erinnert er zuvörderst seine Jünger an die vorigen Zeiten des Friedens, wo sie ohne alle Furcht vor Anfeindung und Verfolgung hatten unter die Menschen gehen können und noch dazu alle nöthige Hülfsleistung und Unterstützung von denselben erfahren hatten. Von nun an aber, will er ihnen sagen, würden ganz andere Zeiten kommen, wo sie nicht nur keine Unterstützung von den Menschen zu erwarten hätten, sondern überdies auf die feindseligste Behandlung von Seiten derselben gefasst seyn müssten. In dem Sinne spricht er: „Wer die Mittel hat, sich seinen Unterhalt für die Zukunft zu sichern, wer einen Beutel oder Tasche hat, nehme sie zur Hand und verlasse sich nicht mehr auf andere Leute; wer aber solche Mittel nicht hat, der suche sich wenigstens für den gegenwärtigen Augenblick gegen feindliche Angriffe zu schützen, er verkaufe auch das Letzte, was er hat, um sich ein Schwert anzuschaffen. Zu Marc. 14, 72 hätte auf Theophrast. 8, 1 verwiesen werden können, wo freilich das niBúhov auch verschieden erklärt wird, wo aber doch die Bedeutung pergens, praeterea am meisten für sich hat. Bei Luc. 5, 36 möchte doch die Erklärung des oxia im activen Sinne (cf. Joh. 19, 24) die vorzüglichste bleiben: Niemand setzt einen Flicken von einem neuen Kleide auf ein altes; wenn aber doch, so zerreisst er das neue Kleid und zu dem alten passt der Flicken vom neuen nicht. Nur so steht dies Gleichniss mit dem folgenden von den Schläuchen in gleicher Linie und drückt wie dieses den Gedanken aus, dass Neues und Altes beides verderben werde, wenn man es ungehöriger Weise vereinen will. An

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So viel von den Vorzügen und Mängeln der Exegese, welche in dem vorliegenden Commentar geübt wird. Wichtiger noch ist auf dem gegenwärtigen Standpunkte der Theologie die Frage nach der historischen Kritik, nach den Ansichten von Ursprung und der Beschaffenheit der Evangelien als Geschichtsquellen, so wie von dem eigentlichen historischen Gehalte der darin enthaltenen Ueberlieferung, welche ein solcher Commentar aufstellt und die auch der unsere entwickelt, theils in den der Erklärung der einzelnen Evangelisten voraufgeschickten Einleitungen, theils auch sonst hin und wieder im Contexte.

Ueber das Verhältniss der 3 synoptischen Evangelien zu einander wird mit ziemlicher Entschiedenheit geurtheilt. Dem Evangelium Matthäi wird der Vorrang unter ihnen zuerkannt. Denn obwohl eingestanden wird, dass die Abfassung desselben von einem Apostel ernstlichem Zweifel unterliege und dass es manches enthalte, was für unhistorisch erklärt werden müsse oder von einem Irrthume bald in der Auffassung, bald in der Anordnung des darzulegenden Stoffes zeuge: so wird dennoch dies Evangelium für älter und ursprünglicher als die des Lucas und Marcus ausgegeben. Der Erweis dafür wird theils von der einfacheren Gestalt und Relation, theils von dem bessern Zusammenhange derselben, theils selbst von den Irrthümern, die sich darin eingeschlichen haben, theils von mannichfachen Einzelnheiten hergenommen, welche hier zusammen zu stellen zu weit führen würde. Vom Lucas dagegen wird behauptet, dass er das Evangelium Matthäi unter den Vorarbeiten gehabt, die er benutzt, wiewohl er es nur aus zweiter Hand möge gekannt haben oder ihm aus dem Gedächtnisse möge gefolgt seyn, vgl. zu Matth. 7, 16. Luc. 6, 38. 10, 26. Daneben wird einige Male auf eine mögliche Bekanntschaft dieses Evangelisten auch mit dem Evangelium Johannis hingedeutet. Vgl. zu 22, 24-30, 24, 2. Sonst wird er beschuldigt, dass er den Stoff, der ihm vorlag, willkürlich bald erweitert

bald verkürzt, nach eigener Meinung zusammengestellt, auch spätere Auffassungen der christlichen Ideen und subjective zum Theil irrige Ansichten eingemischt habe. Dennoch wird ihm bei verschiedenen Gelegenheiten der Preis grösserer Genauigkeit und schicklicherer Anordnung zuerkannt. Das Evangelium Marci wird durchaus als eine freie Combination der beiden andern synoptischen Evangelien betrachtet, wobei jedoch zugleich auch das Evangelium Johannis als Quell gedient haben soll. Ueber den letzten Punkt siehe die Anmerkungen zu Marc. 6, 37. 15, 9. 42. 16, 7. Die Echtheit des letzten Abschnitts Marc. 16, 9-20 wird in Schutz genommen. Bei dieser ganzen Ansicht von dem gegenseitigen Verhältniss jener drei Evangelisten möchte am wenigsten befriedigen, was über die Abhängigkeit des Lucas vom Matthäus beigebracht wird. Dass Lucas, wenn er unser Evangelium Matthäi wirklich kannte, sich nur mit einer gedächtnissmässigen Benutzung desselben begnügt und nicht gesucht haben sollte, es bei seiner Arbeit selbst vor Augen zu haben, ist kaum zu denken und würde einen seltsamen Begriff von jener axoißta geben, mit welcher er will verfahren seyn. Noch weniger aber ist zu glauben, dass er wirklich unser Evangelium Matthäi beim Schreiben vor Augen gehabt. Unmöglich könnte er sich dann solche Abweichungen erlaubt haben, wie sie namentlich bei Mittheilung der Bergpredigt vorkommen, wo nicht nur die Anordnung, sondern auch der innere Gehalt der einzelnen Sprüche und Reden ein so gar anderer ist. Soll dennoch die behauptete Abhängigkeit des Lucas vom Matthäus bestehen: so bleibt nur die Annahme übrig, welche sich in der Einleitung zum Evangelium Matthäi findet, dass Lucas den Matthäus auf mittelbare Weise, also wohl in einer späteren Redaction oder Ueberarbeitung benutzt habe. Allein damit befinden wir uns ganz und gar in dem Gebiet leerer Vermuthungen, und eben so nahe liegt die andere Annahme, dass beide, das Evangelium Luca und unser Evangelist Matthäus, aus einer dritten uns unbekannten Quelle könnten geschöpft haben. Uebrigens ist wohl der ganze Kreis von Hypothesen, welche über das Verhältniss der Synoptiker zu einander aufgestellt werden können, als durchlaufen anzusehen. Man hat abwechselnd wie den Matthäus so auch den Lucas und, wie insbesondere neuerdings verschiedentlich geschehen ist, selbst den Marcus als den ersten und ursprünglichen angesehen, von dem dann die Uebrigen mehr oder weniger das Ihre sollen genommen haben; man hat auch für alle drei wieder

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einen vierten unbekannten Vorgänger und Gewährsmann statuirt. Es scheint also, nur noch darauf anzukommen, dass der Kritiker jede dieser Hypothesen nach ihrem Grund oder Ungrund zu erwägen und so zu ergründen suche, was als das wahrscheinlichste Resultat übrig bleibe. Doch ist diese Aufgabe freilich eher dem Isagogiker zu stellen als dem Exegeten. Letzterer wird immer nur jenem einzelne Beiträge zur Lösung derselben liefern können und hier ist selbst die consequente Durchführung einer nicht ganz haltbaren Ansicht in so fern förderlich, als sie zeigt, wie weit eine solche sich im Einzelnen wirklich bewähren lässt oder nicht.

Die Untersuchungen über das 4te Evangelium, das des Johannes, haben ein vorzügliches Interesse gewonnen, seitdem es von Dr. Strauss in so ernster Weise ist angefochten worden und wo sie immer aufgenommen werden, regt sich sehr natürlich der Wunsch, dass sie zu einem sichern Resultate führen und wo möglich dienen möchten, die Echtheit jenes Evangeliums ausser Zweifel zu stellen. Dass in dem vorliegenden Commentar einem solchen Wunsche entsprochen werde, lässt sich allerdings nicht behaupten. Sowohl in der Einleitung zu der Erklärung dieses Evangeliums freilich wie in der Erklärung selbst zeigt sich wiederholt eine starke Neigung, die Authentie desselben anzuerkennen; namentlich wird die Verwandtschaft des Evangeliums mit den Briefen des Johannes ganz nach ihrer Wichtigkeit gewürdigt. Es wird auch vielfältig nachgewiesen, wie sich die Relation des Johannes zu derjenigen der Synoptiker im Vortheil befindet. Vgl. zu Matth. S. 33. 44. 47. 215. 217. 229. 240. 245; zu Luc. S. 108. 114; zu Joh. S. 27. 30. 32. 40. 78. 150. 156. 193. Eben so oft werden die von Strauss erhobenen Zweifel als ungegründet zurückgewiesen. Vgl. zu Joh. 1, 20. 21. 19–28. 3, 11 — 21. (S. 44 u. 51.) 4, 17. 7-27. (S. 62.) 43-54. 5, 8. 6, 23. 11, 6. 13, 1-3. (S. 151.) 27. Es werden mit Vorliebe alle einzelnen Züge hervorgehoben, welche vermuthen lassen, dass der Berichterstatter ein Augenzeuge gewesen oder überhaupt für die historische Treue seines Berichts Zeugniss geben. Dahin wird z. B. der Umstand gerechnet, dass Johannes dem Täufer keine Wunder zugeschrieben werden S. 133, ferner die Unklarheit in der Anführung der Rede Jesu 12, 23, die Art, wie die Geschichte von der Verläugnung des Petrus vorgetragen wird S. 190, die Erwähnung des Schweigens Jesu vor Pilatus S. 194 und der Eile, mit welcher Johannes dem Petrus im Lauf zuvorgekommen, da beide sich zum Grabe des Auf

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erstandenen begaben S. 200 u. s. w. Selbst die bedeutenden Differenzen zwischen Johannes und den Synoptikern, auf welche Strauss ein so grosses Gewicht legt, werden als minder erheblich betrachtet. Dennoch regen sich hin und wieder ernste Zweifel an der historischen Treue, daher auch an der Ursprünglichkeit und Authentie des Evangeliums Johannis. Namentlich ist das der Fall bei allen Wunder - Erzählungen (s. S. 37., 64. 67. 77. 123. 148), und wenn auch diese Zweifel nirgends einen entschiedenen Charakter annehmen, sondern überall das Urtheil über ihre Bedeutung verschoben wird: so bleibt doch der Leser des Commentars am Ende mit einem vorherrschenden Gefühl der Ungewissheit, wie er mit diesem Evangelium daran sey, behaftet. Ueberdies erklärt Hr. Dr. de Wette S. 215 selbst ganz offen, dass auch er sich in gleicher Ungewissheit befinde. So unerfreulich jedoch dieser Umstand für einen jeden ist, der sich nach festen Resultaten sehnt und gerade deshalb zum gelehrten Forscher seine Zuflucht nimmt, damit er der eigenen Unsicherheit entrinne: so ist doch das Bekenntniss, welches die Schlussbetrachtung enthält, aller Ehren werth und lässt sich den dort ausgesprochenen Grundsätzen die Anerkennung nicht versagen, Aufrichtigkeit und Lauterkeit ist allerdings eine Haupttugend des Kritikers, und es hilft zu nichts, wenn man alle Kunst aufbictet, sich selbst und andern einzureden, dass das Ungewisse nicht als ungewiss zu betrachten sey.

Man deckt damit nur den Schaden

zu statt ihn zu heilen, und das rächt sich früher oder später allemal. Weit besser ist's, wenn man die Sachen darstellt, wie sie sind und wo man nicht zu rathen weiss, auch nicht die Miene annimmt, als ob man rathen könne; sondern lieber zurücktritt und das Feld offen lässt für Andere, die sich mehr zutrauen.

Die Ansicht, die ein Kritiker von dem Ursprung der Evangelien hat, steht immer mit der Ansicht von ihrem Inhalt in der genauesten Wechselwirkung. Je mehr er Ursache zu haben glaubt, ihren Ursprung hinaufzurücken und in die unmittelbare Nähe der mitgetheilten Thatsachen zu versetzen; desto mehr wird er für den rein historischen Charakter ihres Inhalts seyn und jede Annahme einer sagenhaften oder mythischen Färbung als unzulässlich abweisen müssen. Wiederum, je mehr er mythische oder sagenhafte Bestandtheile in der Geschichte selbst zu entdecken meint, desto nothwendiger wird er sich für eine spätere Abfassungszeit entscheiden müssen. Dies bewährt sich auch in dem vorliegenden Commentar. Die Abfassung der Evangelien wird bestimmt in eine

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