Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Personen unter diesem Niveau befinden muss, als früher. Gleichwohl beruht die Verarmung in Deutschland zur Zeit noch nicht auf einem absoluten Mangel an Arbeit; es ist daher noch kein Pauperismus im engern und eigentlichen Sinne, d. i. noch keine Dürftigkeit der Massen, eingetreten. Denn wo sich hier Dürftigkeit zeigt, beruhet sie mehr auf Unfällen und Gebrechen, welche die Einzelnen betroffen haben, oder auf Fehlern, welche sich Einzelne zu Schulden kommen lassen, oder endlich auf Mangel an nöthiger Vorsicht bei Eingehung der Ehen.

[ocr errors]

Im zweiten Hauptabschnitte sucht der Vf. die Ursachen zu ergründen, denen die in Deutschland immer mehr zunehmende Ve armung zuzuschreiben ist. Es wären diese Ursachen, meint er, theils objective, theils subjective, je nachdem sie aus dem gegebenen Verhältnissen entspringen, oder in der Denk- und Handlungsweise der arbeitenden Klassen ihren Grund haben; so dann aber theils allgemein wirkende, theils nur aus den besondern Verhältnissen der Städte hervorgehende, je nachdem sie Stadt und Land gleichmässig berühren, oder nur in der besondern Lage der Städte und in ihren örtlichen Einrichtungen zu suchen sind. Unter die erste Kategorie von Ursachen begreift Hr. S. und führt namentlich an: die Nachwehen der in Deutschland geführten Kriege, die nach jedem Kriege regelmässig eintretende Stockung in den Gewerben, die Zunahme der Bevölkerung in den arbeitenden Klassen, während der zu ihrer Unterhaltung bestimmte Fonds, vorzüglich in den Gegenden, wo das Maschinenwesen Fortschritte gemacht, abgenommen hat, das Steigen des Preises der edlen Metalle, und das dem zufolge eingetretene Sinken des Preises aller übrigen Produkte, die grosse Verschiedenheit des Münzfusses in Deutschland, das fortwährende Steigen der öffentlichen Abgaben und Lasten, die vielch Mauthlinien, die nach und nach entstanden sind In Betreff der allgemeinen subjectiven Ursachen bezeichnet der Vf. als die hauptsächlichsten in Deutschland: den Mangel an Vorsicht, Enthaltsamkeit und Sparsamkeit unter den arbeitenden Klassen, den immer mehr sich ausbreitenden Genuss des Branntweins und den selbst unter den arbeitenden Klassen immer mehr eingerissenen Luxus aller Art. Zu den besondern Ursachen endlich, die vorzugsweise in den Städten eine grössere Verarmung herbeigeführt haben, zählt der Vf. ausser den beiden vorletzten, so eben angeführten Umständen, auch noch den hohen Betrag der Kommuniallasten und Verwaltungskosten, das starre Festhalten an dem

[ocr errors]
[ocr errors]

[ocr errors]
[ocr errors]

Zunftwesen, wo solches noch existirt, und die Art und Weise, nach welcher in den Städten die Armenpflege in der Regel eingerichtet wird.

[graphic]

[ocr errors]

Nachdem nun der Vf. den Zustand der Dinge, wie er ist, geschildert hat, wobei er sich, bemerken wir beifällig, keinesweges zu greller Farben bediente, vielmehr nur die Thatsachen, wie sie wirklich beschaffen, mit Klarheit darstellte, versucht es derselbe im dritten Hauptabschnitt mit Lösung der Frage: welches die Mittel, die sich zur Abhilfe des Uebels darbieten? Es ist dies, wie in wahrhaft philanthropischer, so auch in volkswirthschaftlicher Hinsicht, bei weitem der wichtigste und umfangreichste Theil des Buchs, weshalb wir auch denselben vorzugsweise zum Gegenstande einer näheren und ausführlicheren Besprechung wählen. Von den vorgedachten Mitteln zicht Hr. S. zuerst die Anlegung von Armenkolonien in besondere Erörterung, theilt jedoch hinsichtlich ihrer keinesweges die günstige Meinung, die sich darüber in Deutschland, Frankreich und England hat vernehmen lassen. Zur Begründung seiner Ansicht entwirft er eine flüchtige Geschichte derjenigen Armenkolonien, womit man es in Holland versuchte und gelangt, im Verfolg derselben, zu der Schlussziehung, dass trotz dem, dass während eines Zeitraums von zehn Jahren (von 1822 bis 1831) der 35ste Arme darin aufgenommen wurde, die Zahl der ausserdem noch zu unterstützenden Armen sich seit 1822 von 199,280 auf 271,887, also um 72,607, vermehrt hat.. Erhellet aber nun schon aus dieser Beweisführung durch Ziffern, dass die Anlegung von dergleichen Armenkolonien nicht den geringsten Nutzen gewährt und in grösserem Massstabe gar nicht ausführbar seyn würde, so gelangt man auf rationellem Wege, den der Vf. demnächst beschreitet, zu einem nicht minder ungünstigen Resultate. Ihm Schritt vor Schritt auf diesem Wege zu folgen, gestattet der Raum dieser Blätter nicht; einige Andeutungen mögen daher genügen: Die Arbeitskolonien sind, genau betrachtet, nichts anderes, als wie jeder andere Versuch denen Arbeit zu geben, die aus irgend einem Grunde keine Arbeit haben, obschon sie arbeitsfähig sind. Beschränkt sich nun aber der Fonds zur Bezahlung menschlicher Arbeit durch das reine Einkommen der Nation, so muss sich die Quantität jener Arbeit, die bezahlt werden kann, nach diesem Einkommen richten, das nicht willkürlich vermehrt werden kann. Arbeitsanstalten, wie die Armenkolonien sind, würden daher keinen andern Erfolg haben, als dass ein Theil der zur Bezahlung menschlicher Arbeit dispo

[graphic]

niblen Fonds eine, von der seitherigen verschiedene, Anwendung erhielte. Es würde demnach eine bestimmte Anzahl derjenigen Arbeiter, die seither aus diesen Fonds für ihre Arbeiten bezahlt wurden, fernerhin nicht mehr aus demselben bezahlt werden und sie somit an die Stelle der nunmehr beschäftigten Arbeitslosen treten. Die Anzahl derer aber, denen die Arbeit auf solche Weise entzogen wird, dürfte jedenfalls grösser seyn, als die Anzahl derer, die auf diese Weise Arbeit erhält, weil die Arbeit der letztern, unter denen immer eine Menge arbeitsscheuer, ungeschickter, oder zu Arbeiten der geforderten Art wenig tauglicher Personen sich befindet, nothwendig theurer zu stehen kommt, als die Arbeit der fleissigen und an die Arbeiten gewöhnten Arbeiter, denen man sie verzieht u. s. w. Hiernach nun erklärt es sich ganz natürlich, dass, wie es beispielsweise in Holland geschehen, die Zahl neuer Hülfsbedürftiger um so mehr anwächst, je mehr auf die Unterstützung der bereits vorhandenen Armen verwendet wird. Allein eben so wenig, wie die Einrichtung von Armenkolonien im Lande selbst, gewahrt der Vf. in einer überseeischen Kolonisirung Armer ein empfehlungswürdiges Auskunftsmittel, zumal weil sich die grösste Zahl unserer Armen in den Städten befindet, solche auch, so fern sie auf dem Lande wohnen, meistens der gewerbtreibenden Klasse angehören. Der betreffende Entwurf aber, der schon so oft vorgebracht wurde, erscheint ihm um so weniger ausführbar, als dazu doch nur arbeitsfähige Arme genommen werden könnten. Bei diesem Sachverhalt nun würde die grosse Anzahl der übrigen Armen dem Staate nach wie vor zur Last fallen und wegen der grösseren, auf die Kolonisation derselben zu verwendenden, Kosten der Betrag der Armenunterstützungen einen noch grösseren Theil des reinen Einkommens der Nation in Anspruch nehmen. Von selbst endlich würde hieraus folgen, dass, weil nun noch weniger selbstständige Arbeiter bezahlt werden können, nothwendig jedes Jahr neue Verarmungen und somit neue Kolonisationen, die denn doch zuletzt die Staatseinkünfte übersteigen könnten, unumgänglich werden würden.

Der Vf. geht demnächst zur Angabe und Inbetrachtziehung der Mittel über, die er für die zweckmässigsten erachtet, um gegen die Verarmung, oder vielmehr gegen das Zunehmen derselben, Schutz zu gewähren. Sehr richtig ist, unseres Bedünkens, die von ihm vorangeschickte Bemerkung, zuerst, dass man überhaupt die Hoffnungen nicht zu hoch spanuen und nicht glauben dürfe, es sey möglich, alle Armen

zu beglücken und alle Verarmung zu hindern; sodann, dass die wider die Zunahme der Zahl der Armen zu ergreifenden Mittel niemals directe seyn könnten, sondern dass es nur indirecte möglich, jener Zunahme in etwas vorzubeugen. Ihrer wesentlich verschiedenen Natur nach lassen sich diese Mittel unter zwei Hauptbegriffen zusammenfassen, nämlich: sittliche Kräftigung auf der einen und Verbesserung des materiellen Zustandes der arbeitenden Klassen auf der andern Seite. — Mit andern Philanthropen, die den nämlichen Gegenstand behandelten, fordert nun Hr.S. zu oberst Unterricht und Belehrung der arbeitenden Klassen. Das was in dieser Hinsicht bereits in Deutschland bewirkt wurde, oder noch im Begriffe ist bewirkt zu werden, gewährt ihm keinesweges vollständige Befriedigung. Ueberall, sagt er, werden neue Schulen errichtet und bereits vorhandene verbessert. Aber fast möchte man fürchten, dass die unglückliche Richtung dieses Zeitalters auch in dieser Wir Hinsicht bewusst oder unbewusst einwirkt. ... wollen unsere Kinder in den Volksschulen zwar nicht zu viel, aber zu vielerlei lehren, ohne zu bedenken, dass weit der allergrösste Theil es nothwendig der künftigen Vergessenheit lernt. Wir bilden eben deshalb eine Menge von Halbwissern, die sich dann unglücklich fühlen, wenn ihnen die Verhältnisse, in welche sie im Leben zu treten berufen sind, nicht erlauben, die Wünsche, die Begierden, die früher in ihnen geweckt wurden, die Ansprüche, die sie an das Leben zu machen gelernt haben, zu befriedigen. Während der ganzen Schulzeit gewöhnen wir die Kinder aller Stände sich als gleich zu betrachten, und dürfen uns dann nicht wundern, wenn sie späterhin diese Gleichheit beibehalten wissen wollen, und sich schliesslich entweder zu Ausgaben entschliessen, welche ihren Kräften nicht entsprechen, um diese Gleichheit wenigstens äusserlich so viel als möglich fortzuführen, oder unzufrieden und missmüthig mit ihrer Lage werden, wenn ihnen dieselbe nicht erlaubt, diese Ausgaben zu machen, oder endlich zu Lastern und Verbrechen schreiten, um sich die Mittel dazu zu verschaffen." Um nun diesen und mehreren andern mit den neueren Schuleinrichtungen verknüpften Inkonvenienzen abzuhelfen, erscheint es dem Vf. gerathener, die allgemeinen, nach gleichen Zuschnitten zugemessenen Unterrichtsanstalten zu modificiren, namentlich nicht alle Kinder ohne Unterschied in eine und dieselbe Anstalt einzupferchen, die Lehrgegenstände in den Volks- und Elementarschulen zu vereinfachen, auf Religion, Lesen, Schreiben und Rech

[ocr errors]

nen; zu höherm Unterrichte zwar Gelegenheit zu ge- ,, die freie und ungehinderte Wirksamkeit der Kapiben, aber nur auf Verlangen und gegen besondere tale" und als zweite die der Arbeitskräfte" auf. In Remuneration." Es verlangt ferner noch der Vf., ersterer Beziehung erscheint ihm die Einmischung der dass der religiöse Unterricht nicht sofort mit der Kon- Regierungen, so gut es auch damit gemeint seyn firmation abgebrochen, sondern noch einige Zeit möge, als verwerflich. Durch jene von Schmeichlang, vielleicht bis zum erreichten 19ten oder 20sten lern und Parasiten so gepriesene Kleingeisterci, sagt Jahre, wenn auch nur des Sonntags, fortgesetzt er, die mit unermüdlicher Sorgfalt in eines jeden Bürwerde. Religiöse Prüfungen würden, in Folge dieses gers und Bauern Topf gucke, oder gar sich um seine Unterrichts, zu gewissen Zeiten mit den jungen Bur- Privatmeinungen und Gedanken bekümmere, richten schen und Mädchen anzustellen seyn; der Unterricht die Regierungen, ohne es selbst zu wollen, ihre selbst aber habe sich auch mit Zuständen des gesell- Staaten zu Grunde, indem sie die freie Betriebsamkeit schaftlichen Lebens zu beschäftigen, und daher den des Bürgers hemmen, mit welcher zugleich die Entjungen Leuten Aufklärungen über ihre künftige bür-wickelung aller Geistesthätigkeiten aufhört. Aufgerliche Stellung und Verhältnisse zu ertheilen und sie zur Mässigung, Sparsamkeit, Ruhe und Ordnung zu ermahnen. Damit nun aber diese gute Lehren nicht verloren gehen, hält es Hr. S. für unerlässlich, die Gelegenheiten, die das Ausarten und die Hinneigung zu einer unordentlichen Lebensart befördern, und solche Genüsse, die anerkannt und ganz in der Regel verderblich werden, möglichst zu beschränken. Daher müsse denn der Genuss des Branntweins, die Zahl der Schenken und Vergnügungsörter beschränkt, und besonders strenge darauf gesehen werden, dass die polizeilichen Vorschriften, in Bezug auf die Zahl und die Zeit der öffentlichen VergnüDass der gungen, nicht überschritten werden."

[graphic]

[ocr errors]

hier zuerst gedachten Forderung seither so durchaus nicht entsprochen, davon gewahrt Hr. S. die Ursache vornehmlich in finanziellen und selbst volkswirth schaftlichen Rücksichten.,, Der Finanzier, sagt er, wird die starke Steuer, welche auf den Branntwein gelegt ist, ungern vermissen, der Staatswirth wird Klagen, dass ein nützlicher, nährender und Reichthum erzeugender Gewerbszweig unterdrückt wird, der Landwirth wird den Verlust, welchen Ackerbau und Viehzucht dadurch leiden können, in Anschlag bringen, und die zahlreichen Inhaber der Schenken und Kneipen werden über Verletzung wohlerworbener Rechte, über zu grosse Beschränkungen klagen, ja es werden überall so viele Klagen entstehen, dass für den Staatsmann, der diese Uebel abstellen will, ein grosser moralischer Muth dazu gehört, Hand an das Werk zu legen, ja dass ich wohl der Meinung bin, der ganze Vorschlag werde ein frommer' Wunsch bleiben. Gleichwohl lässt sich Hr. S. die Mühe nicht verdrüssen, die Mittel anzudeuten, durch deren Anwendung allen jenen Unzuständigkeiten begegnet werden könnte, die sich aus einem verminderten Gebrauch des Branntweins ergeben würden. So glaubt er, beispielsweise, das Delicit in den Finanzen mittelst einer Kapital- oder Einkommensteuer decken zu können; die bekannten Einwendungen aber, die dagegen erhoben werden, beseitigt er kurzweg mit dem Bemerken, dass, wo es die Erreichung so hochwichtiger Zwecke gelte, die damit verbundenen Schwicrigkeiten nicht zurückschrecken dürften.

Um nun die materielle Lage der arbeitenden Klassen zu verbessern, stellt Hr. S. als erste Bedingung

neu.

1

hebung aller Innungs-, Zwangs- und Bannrechte da,
wo sie noch bestehen, ist in der zweiten Bedingung
mit inbegriffen. Preussen könne in dieser Hinsicht
zum Vorbilde dienen, und sollte es auch um so mehr,
als in diesem Staate, was man auch sagen möge, die
Gewerbfreiheit auf Emporbringung der Gewerbe sehr
günstig eingewirkt habe. Gelingt es nun auf be-
fragte Weise, die Summe der menschlichen Arbeit
zu mehren, so müssen ferner Anstalten getroffen
werden, die Arbeiter zu Ersparnissen aufzumuntern,
zu welchem Ende Sparkassen empfohlen werden, wo
die Arbeiter auch die kleinste Summe einlegen, ver-
zinst erhalten uud zu jeder Zeit wieder erhalten kön-
Mit diesen Sparkassen zugleich Leihanstalten
zu verbinden, hält jedoch der Vf. für bedenklich, weil
dadurch die Gelegenheit zu borgen den Arbeiter er-
leichtert und wegen der geringern Zinsen, auch an-
nehmlicher gemacht wird. - Es wird ferner von
demselben empfohlen, nicht nur keine neuen Gele-
genheiten, wodurch der Sinn für Sparsamkeit und
Ordnung untergraben werden kann, einzuführen,
sondern auch die bereits vorhandenen Lockungen zu
Zeit- und Geldverschwendungen möglichst zu be-
schränken. Dahin rechnet er namentlich die Lotte-
rien u. s. w. Ein demnächstiges Mittel, die Stel-
lung der arbeitenden Klassen zu verbessern, gewahrt
Hr. S. in der Zerlegung der Grundstücke, die wenig-
stens in Fabrikgegenden frei gegeben werden sollte.
Den bekannten Streit über die Vorzüge der Gross-
wirthschaften und Kleingüter erwähnt derselbe bei
diesem Anlass zwar flüchtig; meint jedoch, man
könne ihn füglich bei Seite liegen lassen, weil dabei
stets vorausgesetzt werde, dass die Besitzer lediglich
den Feldbau zu ihrem Gewerbe machen, während hier
davon die Rede, Feldbau und Gewerbe zur Verbes-
serung der Lage der industriellen Arbeiter mit einan-
der zu verbinden. Endlich erachtet es der Vf.
noch für höchst wünschenswerth, dass zum Besten
der Gewerbe überall in den öffentlichen Ausgaben
ernstlich an Ersparnisse gedacht werde, und dass
man sich vor allen Dingen von der gänzlichen Unzu-
lässigkeit des seither in der Praxis überall geltend ge-
machten Grundsatzes, dass die Einnahmen sich nach
den Ausgaben richten müssten, zum Heile des Völker
und zum Besten der Gewerbe überzeugen möchte."
(Der Beschluss folgt.)

[ocr errors]
[ocr errors]
[ocr errors]

ERGÄNZUNGSBLATTER

ZUR

ALLGEMEINEN LITERATUR-ZEITUNG

PÄDAGOGIK.

Februar 1840.

MARBURG, b. Elwert: Grundsätze der Erziehung, MARBURG, b. Elwert: Grundsätze der Erziehung, des Unterrichts und ihrer (?) Geschichte nach Niemeyer und Ruhkopf. Herausgegeben von Professor Dr. Christian Koch in Marburg. Mit einem Vorworte von Dr. K. F. Chr. Wagner, Prof. der röm. u. griech. Literatur in Marburg. Zweite Ausgabe. 1837. XIV u. 235 S. gr. 8. (20 Ggr.)

von

Ueber die Entstehung dieses Buches, dessen erste Erscheinung dem Ref. unbekannt geblieben, auch hier nicht näher als auf dem Titel bezeichnet ist, wird S.5 der Einleitung Folgendes berichtet: ", Gegenwärtige SS. oder Aphorismen sind hauptsächlich nur die Resultate des Studiums dieser beiden gediegenen Werke" (nämlich der Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts von Niemeyer, und der Geschichte des Schul- und Erziehungswesens in Deutschland von Ruhkopf), verbunden mit der Lectüre der besten Lebenden und Todten, und einer Praxis 25 Jahren. Was sonst etwa noch für Absichten und Verdienste, Veranlassungen und Mängel bei dieser neuen Bearbeitung einer noch nicht in ihre gebührenden Rechte eingesetzten (?) Wissenschaft obwalten, das wird jeder einsichtsvolle Leser und Richter dieses Werkes aus dem Ganzen, so wie auch aus Dedication und Vorrede desselben, entnehmen können." Aus der Dedication nun vermag Ref. etwas der Art nicht zu entnehmen; denn sie besteht blos aus den Worten: Marburgs theologischer Facultät gewidmet." Die Vorrede enthält grösstentheils nur Hinweisungen auf die, dem Vf. derselben als vorzüglich beherzigenswerth erschienenen, Stellen und Behauptungen der Schrift, welche nach Seitenzahl und Inhalt angeführt und besprochen werden. Das Buch selbst ist allerdings, was in den vorhin angeführten Worten von ihm gesagt wird. Nach der allgemeinen Einleitung zerfällt es in vier Bücher: 1) Erziehungslehre, oder Pädagogik im engern Sinne; 2) Unter

richtskunst, oder Didaktik und Katechetik; 3) von den

Lehranstalten, oder Theorie des öffentlichen Unterrichts; 4) Geschichte des Schul- und Erziehungs

wesens. In diesen Abtheilungen sind die einschlagenden Gegenstände, hauptsächlich nach Niemeyer, in Paragraphen, jedoch nicht im compendiarischen Stile, mit hinreichender Vollständigkeit behandelt, und das Buch kann daher als Grundlage für Vorlesungen, eben so wie zum Selbststudium, benutzt werden. Die zu Ende der 3 ersten Abtheilungen, in dem letzten Paragraphen einer jeden, so wie auch der Einleitung, zusammengestellten Fragen dienen theils zur Wiederholung, theils zur Anregung des weiter fördernden Nachdenkens. - Angehängt sind noch 1) ein Excurs über die sieben freien Künste der allgemeinen Menschenbildung: 2) zwei Excerpte aus Thomas Platers Leben (geb. 1499), letzteres ganz vergnüglich zu In die hin und wieder vorkommende Ironie oder den satyrischen Witz des Vfs. hat Ref. sich nicht wohl hineinfinden können.

lesen.

HAMBURG, b. Perthes: Der Gymnasialunterricht nach den wissenschaftlichen Anforderungen der jetzigen Zeit. Von Johann Heinrich Deinhardt, Oberlehrer der Mathematik und Pysik am Gymnasium zu Wittenberg. 1837. XXIV u. 303 S. gr. 8. (1 Rthlr. 12 Ggr.)

Eine im Geiste der Hegel'schen Philosophie, aber auch mit eignem Geiste, dabei verständlich geschriebene, inhaltsreiche Schrift, welche verdient viele und aufmerksame Leser zu finden. Laut der Vorrede ist ihr Zweck, eine gründliche Bestimmung und wissenschaftliche Entwickelung des Gymnasialprincipes herbeiführen, und sowohl die Wahl der Unterrichtsmittel als die methodische Anordnung und Behandlung derselben als eine nothwendige Folge dieses Principes begreifen, und auf diesem Wege den rechten Maassstab, nach welchem allein über die Verfassung und den Geist der gegenwärtigen Gymnasien ein compe

tentes Urtheil gefällt werden kann, gewinnen zu helfen. Zu dem Ende setzt der Vf. im ersten Theile des Buches, "über die Bestimmung des Gymnasiums," nach einleitenden Bemerkungen über das Princip der griechischen und der christlichen Erziehung, so wie über die Erziehung durch die Familie, die Schule und die Kirche, zuerst einen Unterschied der Stände fest, als den Grund des Unterschiedes der Schulen. Er unterscheidet theoretische und praktische Stände, und weist diesen Gegensatz nach, in der sonst üblichen Eintheilung in Lehr-, Wehr- und Nährstand. Zu den theoretischen Ständen gehören die Geistlichen, die Juristen, die Aerzte und die Lehrer an den Universitäten und höheren Schulen. Die Thätigkeit derselben hat die Richtung von dem Aeussern auf das Innere, wogegen die der praktischen nach aussen gekehrt ist. Beide unterscheiden sich von einander wie Erkenntniss und Wille. Während die theoretischen Stände bei allen ihren Verrichtungen eine Theorie, eine wissenschaftliche Bestimmung bedürfen, so haben die praktischen blos anerkannte Grundsätze, Regeln, Uebungen und Fertigkeiten ins Leben zu setzen und im Leben zu erhalten. In diesem Verhältnisse nun stehen Gymnasium, für die theoret. Stände, und Realschule, für die praktischen, einander coordinirt, und bilden das zweite Stadium der gesammten Schulbildung im Staate; das erste oder unterste ist die Elementar- oder richtiger Volksschule, das oberste die Berufsschule. (Universität, Schullehrerseminar, Handels-, Gewerbs- und Militärschule u. s. w.)

[graphic]
[ocr errors]

Wir finden bei dieser von dem Vf. gegebenen Uebersicht nur zu erinnern, dass die zum Grunde gelegte Unterscheidung theoretischer und praktischer Stände nicht geeignet ist, das Verhältniss des Gymnasiums zur Real- oder höhern Bürgerschule, und somit auch den Zweck und die Mittel des Gymnasialunterrichts befriedigend zu bestimmen. Jene Unterscheidung nämlich ist selbst unpraktisch. Es ist dem Vf. hiebei ergangen, wie Andern bei der Unterscheidung des Aeussern und Innern. Keins ist ohne das Andre, so wie auch Erkenntniss nicht ohne Willen ist, und umgekehrt. Obgleich der Vf. das Gymnasium und die Realschule parallel stellen will, so drückt er dennoch theils die Letztere durch die irrige Meinung, dass die sogenannten praktischen Stände es blos mit dem Anerkannten als solchem und dessen Ausübung zu thun haben, wider Willen unter das Gymnasium hinab; - (und wozu dann auch für die praktischen Stände ein drittes Stadium?) theils läuft er Gefahr, seine Gymnasialbildung, ebenfalls

[ocr errors]

gegen seine Absicht, theoretisch einseitig werden zu lassen, wovon wir den Vf. allerdings nicht ganz frei sprechen können. Der Unterschied zwischen Gymnasium und Realschule beruht vielmehr darauf, dass es zweierlei Wege zur wissenschaftlichen Erkenntniss giebt den einen vermittelst des Alterthums, wir möchten ihn den historisch - genetischen nennen; den andern, kürzern und weniger gründlichen, durch Beobachtung und Entwickelung der Gegenstände wissenschaftlicher Erkenntniss selbst unmittelbar; er möchte der moderne genannt werden. Der historisch - genetische Weg soll der den Gelehrten eigenthümliche seyn; diese haben überall aus den Quellen zu schöpfen, und der Gymnasialunterricht muss darauf vorbereiten und dazu anleiten. In so weit ist alles richtig, was der Vf. über die Entzündung (und höhere Richtung) des wissenschaftlichen Geistes auf den Gymnasien sagt, und dass die Zöglinge derselben dadurch zur (künftigen) philosophischen Erkenntniss befähigt werden sollen. Denn der historisch - genetische Weg führt unfehlbar zum Philosophiren und hiedurch zur Philosophie. Es wäre aber eine Einseitigkeit des philosophischen Systemes oder ein Missbrauch des Wortes Wissenschaft, wenn man denen, welche den Gelehrten - Bildungsgang des Gymnasiums und der Universität nicht machen, um desswillen den Anspruch auf wahrhaft wissenschaftliche Erkenntniss streitig machen wollte. Der Vf. kann das auch nicht, ob er es gleich seinem Grundsatze nach müsste. Und wenn (nach S. 38 fg.),,dic Wahrheit, der letzte und einzige Zweck und Inhalt aller wissenschaftlichen Bemühung, sich in ihrer unendlichen Fülle und reinen Klarheit in Jesu Christo geoffenbaret hat, und Jeder sich dieselbe in ihm aneignen muss;" wie könnten und dürften da die Nichtgelehrten, in sofern ihnen doch die Real- und Berufsschulen cine über die Volksschule sich wesentlich erhebende Bildung zu geben bestimmt sind, ohne wahrhaft wissenschaftliche Erkenntniss gelassen und blos zu einer tüchtigen Praxis angewiesen werden?

In dem zweiten Theile des Buches handelt der VI. über die Unterrichtsmittel des Gymnasiums, zuerst im Allgemeinen, dann in Hinsicht auf die einzelnen Lehrobjecte, und im dritten Theile über die Methode des Gymnasialunterrichts, ausführlich und gründlich, auch gewiss befriedigend für die Anhänger der Hegelschen Philosophic. Insbesondere enthalten die Abschnitte ,,von dem rationalen Unterrichte in den alten Sprachen" und über die Anordnung des Religionsunterrichts" viel Eigenthümliches, z. B. über den grammatischen Unterricht nach den Kategorien, über das Verhältniss

[graphic]
« ZurückWeiter »