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schen Gesichtsbildung heraustrat; denn zu mächtig und unaufhaltsam hatte sich, gleich einem reissenden Strome, aus den Tiefen seines Geistes die von ihm zuerst klar angeschaute Idee der unendlichen, sittlichen Freiheit über sein ganzes Wesen ergossen, und in ihm jenen ungehemmten, unwiderstehlichen Drang, sich aller Welt an allen Orten mitzutheilen, jenen ironischen Trieb, alles zu besprechen und der zersetzenden, subjectiven Reflexion zu unterwerfen, hervorgebracht, welcher schon damals manchen oberflächlichen Beobachter dazu verleiten mochte, ihn ganz auf eine Linie mit den Sophisten zu stellen. Manches Treffende enthält die Schilderung - von Platons schriftstellerischem Charakter und seiner dialogisch-mimischen Kunstform, aber doch vermissen wir hier eine chronologisch - genetische Ueber sicht des successiven Entstehens der Schriften Platons; denn eine vollständige Einsicht in das Wesen platonischer Art und Kunst kann doch nur aus solchen Untersuchungen, wie sie Schleiermacher zuerst angeregt und K. F. Hermann mit dem glücklichsten Erfolge fortgesetzt hat, hervorgehen, so wie auch die platonische Philosophie selber nicht anders als in genetischer Entwickelung ihres allmäligen Fortganges zu grösserer Fülle und Tiefe dargestellt werden kann; und glücklicherweise lassen sich ja die einzelnen Stufen und Stadien der Entwickelung Platons mit grösserer Sicherheit nachweisen, als bei irgend einem anderen griechischen Schriftsteller. Eine solche Untersuchung würde dann auch dem Vf. gezeigt haben, dass jene von ihm mit Recht so gerühmte lebensvolle, echt dramatische Form des Dialogs am kunstvollsten grade nur in den mehr propädeutischen Schriften Platons ausgebildet ist; je reicher und tiefer aber seine Erkenntniss wurde, desto mehr sehen wir die Kunst der Darstellung zurücktreten, bis in den späteren Werken der Dialog immer mehr zu einer fast gleichgültigen Form herabgesetzt wird, immer mehr zusammenhängenden wissenschaftlichen Erörterungen Platz macht, wie sich dies bereits im Parmenides und Philebos, klarer noch im Timãos, Kritias, den Gesetzen zeigt; der Gedanke ist hier gleichsam hinausgewachsen über die Form, Platon wirft selbst mehr und mehr die beengende Fessel des Dialogs weg und nähert sich jener durch Aristoteles für alle Zeiten in die Philosophie eingeführten, strenge wissenschaftlichen Form des Vortrags immer mehr an. deshalb allein sollten wir also doch Bedenken tragen, den Dialog als die dem philosophischen Denken adäquateste Form der Darstellung zu preisen. Seltsam übrigens klingt es und gemahnt uns etwas zu sehr an

Schon

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das in seiner Gesundheit oft gar derbe und nüchterne holländische Wesen, wenn der Vf. dem Platon seine angebliche poetisirende Erhabenheit zum Vorwurfe macht (S. 112) und wenn er später sogar so weit geht, die, wie er meint, zu luxuriöse und subtile Speculation zu tadeln, die sich namentlich im Philebos und Parmenides zeigen soll, (S. 139 u. f.) und die er dann grossmüthig genug der Jugend Platons zu Gute halten will; das freilich war uns etwas Neues, diese beiden gewaltigen Werke, in denen die männlichste, durch vielfache Kämpfe und Arbeiten zur allumfassenden Klarheit und Freiheit des Gedankens gekommene Reife des grossen Mannes so klar zu Tage liegt, als Jugendarbeiten und Ergüsse eines sprudelnden Uebermuthes charakterisirt zu sehen! Aber auch der grossartigen, viel bewunderten, wenn auch in manchen Partieen noch wenig aufgehellten Naturphilosophie Platous im Timãos geht es nicht besser, auch sie wird (S. 145) als ein gehaltloser, blendender Irrthum bei Seite geschoben, und dem Platon aller Sinu für dieses Gebiet der Wissenschaft abgesprochen, so wie überhaupt alles, was die gewöhnliche Fas sungskraft übersteigt und sich in die Höhen speculativer Weltanschauung erhebt oder in die Tiefen des reinen Begriffes hinabsteigt, als ein Auswuchs des reinen Platonismus angesehen wird. Der Vf. sieht seinen Platon doch etwas zu sehr durch die Brille des Cicero an, dessen hohem Verdienst man wol nicht zu nahe tritt, wenn man behauptet, dass das Tiefste und Beste des Platon wie des Aristóteles ihm immer verschlossen geblieben sey. Was nun noch über Platon als Aesthetiker, Ethiker, Politiker gesagt wird, ist theils an sich sehr dürftig, theils schwebt és haltlos in der Luft, weil es vereinzelt, nicht im lebendigen Zusammenhange mit den höchsten Ideen Platons dargestellt ist; der Vf. führt uns nur in einzelne Gemächer des platonischen Riesenbaues, theilt uns aber weder die geheimnissvolle Formel mit, welche dem ganzen Bau zum Grunde liegt, noch erhebt er uns zu einer Uebersicht des Ganzen und seiner Theile in ihren kunstvoll ebenmässigen, reinen Verhältnissen. Freilich, es wollte auch etwas sagen, auf etwa 50 Seiten den Gesammtinhalt der platonischen Philosophie zusammenzudrängen! Bei der Darstellung des Aristoteles endlich können wir nur dies eine rühmen, dass der Vf. es verschmäht hat, uns in der früher so beliebten Weise von dem Realismus oder Empirismus desselben zu reden; er erkennt es an, dass Aristoteles der Schöpfer einer ganz neuen Wissenschaft, der Metaphysik, der Gründer einer über Platon hinausgehenden Dialektik gewesen ist; zu

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gleich aber setzt er den höchsten Triumph dieser aristotelischen Dialektik in die Form des Syllogismus, ohne zu bedenken, dass Aristoteles selbst, des nur relativen Werthes dieser von ihm erfundenen oder doch ausgebildeten Gedankenform sich klar bewusst, sie nie zur Auffindung höherer Wahrheiten und zum Erweise übersinnlicher Dinge gebraucht hat; die Metaphysik aber erscheint dem Vf. (S. 169) als ein im Grunde verfehlter Versuch, das Wesen der Dinge zu erkennen; wie viel Unkenntniss des Aristoteles gehört aber doch dazu, um seine so reine, so lückenlos vom Niederen zum Höheren fortschreitende, so in alle Tiefen und Irrgänge des abstraktesten Denkens eindringende und doch immer zum Lichte der concreten Wirklichkeit sich wieder emporringende Speculation mit der logisch mathematischen Methode mathematischen Methode Wolf's zusammenzustellen! Und so kommt es denn zuletzt doch wieder auf das alte, auch in Deutschland noch nicht ganz verklungene Lied zurück, dass aristotelische Philosophie zum Materialismus führe, (S. 175) dass er blos die Schale, nicht den Kern der Menschennatur ergriffen, nur den Verstand, nicht den inneren Sinn (?) und das Gemüth erforscht, dass seine Lehre nie die Erkenntniss des Grossen und Göttlichen gefördert, seine Politik und Theologic keine festen Prinzipien gehabt und jene namentlich aller staatenbesseruden Kraft entbehrt habe; dass endlich seine Ethik von Platons erhabenem Standpunkte in eine niedere, beschränkte Region herabgestiegen sey. (S. 170-177.) Aristoteles soll nun einmal zuerst Naturbeobachter, und dann erst Philosoph gewesen seyn, während grade umgekehrt nur seine grossen Entdeckungen auf dem Gebiete des reinen Wissens, im Bunde freilich mit der ausserordentlichsten natürlichen Begabung, ihn fähig machten, für alle Zeiten den festen Grund aller wahrhaften Naturwissenschaft zu legen. Aber auch die unübertrefflich klare und körnige, energische, durch die allerglücklichsten Wortbildungen bereicherte Schreibart des Aristoteles wird von dem Vf. scharf getadelt und als Beginn einreissender Sprachverderbniss bezeichnet! Also Aristoteles cin Sprachverderber, der seinem Volke, ja der Menschheit den adäquatesten Ausdruck des reinen Begriffes vorgeschrieben hat, dessen geniale Wortschöpfungen so klar, so geistig, so durchsich tig sind, dass sie den überall durchscheinenden Gedanken nur wie mit einer zarten, ätherischen Hülle umgeben! Da lesen wir denn auch, (S. 171) dass Aristoteles, indem er die Seele als évteleztu bestimmt, die Erkenntniss ihres Wesens mehr verdunkelt als aufgehellt habe; freilich scheint der Vf. diesen Begriff

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nur aus der dort angeführten ciceronischen Stelle (Tusc. I, 10) zu kennen; hätte er des Aristoteles Werk über die Seele gelesen, er würde gefunden, haben, dass grade in diesem so reichen Begriff der Schlüssel der ganzen aristotelischen Lehre liegt, eben wie in dem scheinbar erhabeneren, im Grunde aber nicht so tiefen Begriffe der Idee der Ausgangspunkt der platonischen Philosophie lag, und er hätte dann vielleicht die Lehre des Aristoteles uns nicht blos richtiger, sondern auch in ihrem inueren Zusammenhange dargestellt. Grade auch jenes Wort konnte recht als ein Beispiel aristotelischer Wortbildung dienen, die, weit entfernt, dem Geiste der griechischen Sprache zu widersprechen, recht aus der Tiefe des Sprachgeistes heraus arbeitete und schaffte. Dass der Vf. die Methode und Schreibart des Aristoteles gegen die des Platon überall in düstern Schatten stellt, nimmt uns nicht Wunder, da es das gewöhnliche, seit Jahrhunderten hergebrachte Urtheil ist; weniger begreiflich ist es, dass er zu seinen dunkelsten Schriften die Schrift de anima zählt, die doch grade zu deu klarsten und am besten erhaltenen gehört. Ueberhaupt aber hätte die Gerechtigkeit erfodert, mit einem entschiedenen Urtheil über Aristoteles schriftstellerischen Charakter noch so lange zurückzuhalten, bis die besonders von Brandis angeregten, aber freilich noch in den ersten Anfängen stehenden Untersuchungen über Echtheit, Abfassungszeit und Geschichte, so wie über Zweck und Form der einzelnen aristotelischen Schriften zu einigem Abschluss gekommen wären. - Die Betrachtungen über den Unterschied und die Verbindung beider Systeme leitet der Vf. mit cinem kurzeu Abriss der Geschichte der platonischen und aristotelischen Philosophie ein; gewiss eine sehr dankeuswerthe Zugabe, wenn er nur etwas tiefer in den unermesslichen Stoff eingedrungen wäre. So aber bleibt das, was er über die Geschichte des Platonismus sagt, im Grunde auf das Verständniss des Platon bei den Römern, namentlich bei Cicero, und auf das Wiederaufleben platonischer Studien unter den Auspicien der Medicäer beschränkt, worüber wir auch nur das längst Bekannte lesen; die neuplatonische Philosophie, die in ihren reineren Gestaltungen doch wirklich den Platonismus fortgebildet und auf früher unbetretene Gebiete herübergeführt hat, wird mit dem herkömmlichen Machtspruche als mystisch und fanatisch bezeichnet, die grossen Kirchenväter, ein Clemeus, ein Origenes, vor allem der durch und durch von platonischem Geist erfüllte Augustinus, werden nicht einmal genannt, und eben so wenig von dem Fortleben platonischer Richtungen im Mittelalter und von der jetzi

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gen Blüthe der platonischen Studien, namentlich in Deutschland, gesprochen. Auch bei der Geschichte der aristotelischen Philosophie springt der Vf. sogleich über die ganze Reihe der aristotelisirenden Kirchenväter und über die grossartige Philosophie des Mittelalters, deren grösste Häupter sich Schüler des Aristoteles nanuten, hinweg zu Bacon, den er, nebst Cartesius und Kant, letzteren doch nur sehr uneigentlich, die wahrhaften Nachfolger des Aristoteles in neuerer Zeit nennt. Freilich ist auf diesem Gebiete noch unermesslich viel zu thun, da die Philosophie des Mittelalters uns noch das Buch mit sieben Siegeln ist, und auch die Bearbeitungen des Aristoteles bei den Arabern wol nicht so bald aus ihrem Dunkel dürften hervorgezogen werden. Wer eine Geschichte der platonischen und aristotelischen Philosophie bis auf die Gegenwart herunter schreiben 'wollte, wozu allerdings noch ganz andere Vorarbeiten gehören würden, als wir sie bis jetzt haben, der würde zugleich die Geschichte aller der geistigen Mächte, die in alter und neuer Zeit bald hemmend bald fördernd auf den Bildungsgang der Menschheit eingewirkt haben, in seine Darstellung mit aufnehmen müssen; denn überall, selbst in Zeiten, wo ihre Schriften fast verschollen waren, begegnen wir jenen beiden grossen Namen, und auf ganz andere Gebiete und Richtungen des Geistes übergetragen setzte sich unter den mannichfachsten Formen doch immer der Gegensatz und der Kampf fort, der schon im Alterthum zwischen beiden Systemen bestand. Immer knüpft sich an den Namen Platons ein frischer Aufschwung des Geistes, eine edle Begeisterung für alles Gute, Wahre und Schöne, ein ungehemmter Trieb nach Erkenntniss der höchsten Dinge, der aber in seiner Ausartung sich leicht der Aussenwelt verschliesst und einem in Idealen und gestaltlosen Ahnungen schwärmenden und schwelgenden Geistesleben hingiebt; an den des Aristoteles aber eine behagliche Befriedigung in einer bestimmten Form der Wahrheit, eine gründliche, tiefe Durchdringung und Durcharbeitung der Wissenschaft, sey es im Elemente des reinen Begriffes, sey es in der sinnlichen Welt; doch liegen auch hier die Extreme eines geistlosen, verknöcherten Formalismus und eines eben so geistlosen Empirismus nahe, sobald aus dem Studium der lebendige Geist des Aristoteles und das wahrhafte Verständniss seiner Lehre entwichen ist. In den Erörterungen über das Verhältniss beider Systeme zu einander und über die Nothwendigkeit ihrer Verbin

dung haben wir mit Vergnügen die sehr wahre Bemerkung gelesen, dass nur dann beide zu einer wahrhaften Verbindung können gebracht werden, wenn man sich vorher die wesentliche Verschiedenheit derselben zum klarsten Bewusstseyn gebracht habe. Aber der Vf. meint es damit doch ganz anders, als wir es meinen; er setzt das Eigenthümliche der beiden Systeme mehr in das, was ihnen fehlt, als in das, was sie haben, und so vermisst er bei Platon zuerst die ausgebildetere aristotelische Logik und Metaphysik, dann alles, was wir Doktrin zu nennen pflegen, Fülle und Umfang des positiven Wissens, namentlich in den Naturwissenschaften; dem Aristoteles dagegen spricht er die höhere, ideale Richtung ab, die innere Musik und Harmonie des platonischen Geistes, die uns mit begeisternder Liebe zu allem Guten, Wahren, Schönen erfülle, die erziehende und bildende Kraft, mit einem Worte, die Disciplin der platonischen Lehre, die sich namentlich in der Aesthetik und Ethik bethätige. So würde denn ihre Verbindung eben nur darin bestehen, dass einer dem andern von seiner Fülle abgäbe, und wir sollen, so meint der Vf., mit Platon Idealisten und Theoretiker seyn, Aristoteles aber soll uns lehren, den Wissensstoff aus Geschichte und Natur zu sammeln, systematisch und methodisch zu verarbeiten, zu klassifiziren, zu definiren, durch Induction und Syllogismus weiter zu füliren; Platon soll uns das Reich des reinen Wissens und der durch alles Wissen hindurchgehenden Ideen aufschliessen, Aristoteles uns in die Breite der eigentlichen Weltweisheit und der Fachwissenschaften einführen. Aber mit einer solchen Verbindung, die doch immer nur die oberflächlichste Synthesis wäre, dürfte wenig gewonnen, ja, sie dürfte an sich selber unmöglich seyn; denn wäre Platon nichts als Idealist, Aristoteles nichts als Realist gewesen, dann wäre für alle Zeiten die Ausgleichung so völlig divergenter Geistesrichtungen ein für allemal aufzugeben, und jeder Individualität es ruhig zu überlassen, ob sie lieber dem Wege Platons oder dem des Aristoteles folgen wolle; aber so steht die Sache nicht. Die wahrhafte Vereinigung des Höchsten und Besten, des Ewigen in den Lehren beider Männer braucht nicht erst gesucht zu werden, sie ist schon gegeben in der höheren Einheit der Wahrheit, welche beiden ge meinsam ist, und liegt jedem klar vor Augen, der diese Einheit aus dem scheinbaren Widerspruche herauszufinden Sinn und Lust hat.

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(Der Beschluss folgt.)

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ALLGEMEINE

AESTHETIK,

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LITERATUR ZEITUNG

April 1840.

seine Ansicht vertraut haben: Göthe gab in Tasso

KÖNIGSBERG, b. Unzer: Ueber Göthes Torquato eine Schilderung des Dichters, welcher mit seinem

Tasso von Dr. Friedrich Lewitz. 1839. X und 198 S. 8. (18 gGr.)

In dieser Schrift giebt Hr. L. an, die Idee in Gō

thes Tasso sey ,,Schilderung des Hoflebens in seinem ganzen Umfange und seinem tiefsten Wesen", und um zu diesem Ausspruche, welcher jedoch unbegründet und unentwickelt bleibt, zu gelangen, geht er vorher das Wesen der in dem Stücke handelnden Personen durch und bemüht sich sie in einem jener Ansicht günstigen Lichte darzustellen. Da Göthe geäussert hat, er habe von seinem Eigenen vieles in den Tasso gelegt, so meint Hr. L. er habe damals als er in Italien war, den schwankenden Zustand, welchen er erlebt und überwunden hatte, in diesem Drama dargestellt, und geht in Aufsuchung des von Göthe erlebten so weit, in der Schillerung Antonio's eiuen Einfluss von Göthes Verhältniss zu Herder finden zu wollen, so dass er diesen bei jener Schilderung zuweilen vor Augen gehabt habe. Da Göthe es sich nicht zu Schulden kommen liess durch kleinliche Gesinnung sein Auge gegen wahren Gehalt eines Mannes wie Herder zu verschliessen, so ist es ganz unmöglich, dass in Antonio dem unpoetischen Welt- und Geschäftsmanne der poetische Herder sich irgendwie enthalten fände. Die Idee, Göthe habe in diesem Drama das Hofleben zu schildern unternommen und dies scy der Zweck des Gedichts, ist so seltsam, dass sie schwerlich einigen Glauben finden wird, denn wäre die angegebene Idee wirklich Zweck dieses Gedichts, so müsste der Held des Stückes nicht durch sich selbst, sondern durch das Hofleben unglücklich werdeu, was aber nicht der Fall ist. Weil Hr. L. dieses Gedicht allzusehr in Gothes eigenem Leben suchte, und dieser am Hofe zu Weimar war, so mochte er auf diese wunderliche Idee kommen. Hätte er genau untersucht, wodurch sich das Alofleben von dem der andern Menschen unterscheide, und dann die Handlungen der in dem Gedichte vorkommenden Personen damit verglichen, so würde er vielleicht weniger auf

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reizbaren Gemüth und seiner beweglichen leicht entzündbaren Phantasie nie in der wirklichen prosaischen Welt recht zu Hause ist. Dieser Gegensatz des Dichters zu der prosaischen Menschenwelt drängt sich jedem Dichter, welcher von ihr berührt wird, und drängt sich auch jedem der poetischen Stimmung fähigen Menschen auf. Oft scheinen in demselben Menschen zwei Naturen zu wohnen, die poetische und prosaische, welche abwechselnd über ihn herrschen, wie Göthe den Faust aussprechen lässt, welches Verhältniss Jean Paul komisch behandelt in der Schilderung der an einander gewachsenen Gebrüder Mensch. In viel weiterem Kreise, als es im Tasso geschehen, schildert ebenfalls Jean Paul in den Flegeljahren den Dichter im Conflict mit der Prosa und den Verhältnissen des Lebens. In anderer Weise stellt Klinger in dem Dichter und Weltmann den Gegensatz auf. Dass Göthe bei der Schilderung der wechselnden Stimmungen eines Dichtergemüths vieles von dem Eigenen hinzuthat, ist natürlich; da er sie stets durchlebte, und da or Weltgeschäfte zu besorgen hatte, und durch sie in manche Conflicte kommen konnte, so mochte er wohl zuweilen meinen, dass die Vereinigung des dichterischen Gemüthes mit dem festen, ruhigen, alle Verhältnisse klar erfassenden und behandelnden Wesen eines tüchtigen und sicherthätigen Weltmanns wünschenswerth sey, und dass aus solcher Verschmelzung, wenn sie möglich wäre, ein wahrhaft vollkommener Mensch werden würde. Deutlich wird. im Tasso auf den Vorzug solcher Vereinigung hingewiesen, indem Leonore von Tasso und Antonio sagt:

Zwei Mänuer sinds,

Die darum Feinde sind, well die Natur Nicht 'Einen Mann aus ihnen Beiden formte, Und wären sie zu ihrem Vortheil klug, So würden sie als Freunde sich verbinden: Dann ständen sie für einen Mann und gingen Mit Macht und Glück und Lust durchs Leben hin. Da der Dichter das reizbare Dichtergemüth, das Leben in der Phantasie mit seinen wechselnden Stimmungen und die Leiden, welche die wirklichen Ver

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hältnisse der Menschenwelt solch einem Geiste bereiten an dem historisch gegebenen Stoff des Dichters Tasso darstellt, so war von selbst der Kreis der Darstellung und ihr Maass durch das über ihn Ueberlieferte bezeichnet. Tiefe Schwermuth, Neigung alles was ihn unangenehm berührte mit dem tiefsten Argwohn als aus fremder Tücke hervorgehend zu betrachten, hoffnungslose Liebe zur Prinzessin von Ferrara und Fortschreiten in seiner stets gesteigerten Reizbarkeit bis zum Wahnsinnigen mussten die Hauptpunkte der Darstellung seyn und diese finden wir in einem vollständig ausgemalten und gelungenem Bilde vor. So weit diese Richtungen des reizbaren Dichtergemüths motivirt werden mussten, ist es geschehen und als erster Einfluss erscheint das Unglück seiner Kindheit. Im schuldlosen Knabenalter mit dem Vater aus der Heimath in die Fremde und das Elend verbannt, entbehrte er das grosse unschätzbare Glück harmloser Kindheit, und kounte nachmals mit Kassandra

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Des Vaters Schmerzen und der Mutter Qual. Der Widerhaken des Schmerzes sass in seiner Scele und was ihn unangenehm berührte machte die alte Wunde bluten. Er wagte, da ihn das Leid zu schwer verletzt hatte, nicht auf Glück zu zählen, weit geneigter, wenn das Glück ihm einen Sonnenblick zuwandte, ihn für einen schnell verschwindenden tauschenden Schein zu halten. Armuth machte Tasso abhängig und dies verletzte und kränkte ihn natürlich tief, da er, durch den Schwung der Phantasie im Gebiet des Höchsten und Edelsten einheimisch, solche Ketten der Unfreiheit schwer nachschleppte, und da sein Stolz argwöhnisch lauerte, ob man ihn nicht für die Gabe, welché er empfing, als Diener herrisch gebrauchen wollte. Diese leicht zu kränkende Empfindung des Stolzes und das bittere Bewusstseyn der

Armuth liess ihn guten Rath derer, von welchen er abhing, nicht als das, was er war, betrachten, sondern es trieb ihn das unleidliche Gefühl der Abhängigkeit stachelnd zum Argwohn an, er werde geringschätzig behandelt. Blos als Spielwerk und zum Zeitvertreib zu dienen, und zu solchem Zweck ernährt zu werden, kränkte ihn, und so empfand er die günstige Lage am Hofe dennoch nicht rein und glücklich. Bilder der Armuth verfolgen ihn, als seine Sinne immer zerrütteter werden. Als armer Schäfer will er die Schwester aufsuchen, als armer Diener einen Garten und ein Landhaus des Fürsten rein halten und pflegen, um so sein Brod zu verdienen. Er hätte auch wirklich nützlich im gewöhnlichen Sinne seyn mögen,, und das seyn zu können gaukelte ihm die Phantasie vor, durch welchen Wahn er sich dahin brachte, in allem Ernste eine Hintansetzung darin zu sehen, dass man ihn nicht zur Behandlung und Berathung der Geschäfte zog. Diesen Wahn lässt ihn der Dichter gegen Leonore aussprechen:

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Hat er von seinem Staate je ein Wort,
Ein ernstes Wort mit mir gesprochen? Kam
Ein eigner Fall, worüber er sogar
In meiner Gegenwart mit seiner Schwester,
Mit Andern sich berieth, mich fragt' er nie.
Da hiess es immer nur: Antonio kommt!

Man muss Antonio schreiben! Fragt Antonio! Am heftigsten aber musste auf ein solches Gemüth hoffnungslose Leidenschaft der Liebe wirken, und die Reizbarkeit aufs Aeusserste steigern. In dieser Doppelempfindung von entzückendem Glück und Entsagung desselben, während letztere ihm unmöglich fällt, muss seine Schwermuth wachsen und bis zu wahnsinniger Zerrüttung des Geistes fortschreiten, und so sagt er denn in der Scene, wo diese Leidenschaft zu einem Ausbruch kommt, zur Prinzessin von seiner Liebe zu ihr:

Ja es ist das Gefühl, das mich allein
Auf dieser Erde glücklich machen kann,
Das mich allein so elend werden liess,

Wenn ich ihm widerstand und aus dem Herzen

Es bannen wollte. Diese Leidenschaft
Gedacht' ich zu bekämpfen, stritt und stritt
Mit meinem tiefsten Seyn, zerstörte frech

Mein eignes Selbst, dem du so ganz gehörst. Dass diese heftige Leidenschaft zur Prinzessin in Tassos Herzen entstehen musste, hat der Dichter schön motivirt, durch ihr Wesen und den Eindruck der ersten Bekanntschaft. Eleonore, geboren auf der Höhe der Gesellschaft und dadurch zu einem genussreichen und glücklichen Leben berechtigt, ist nicht zur Verwirklichung dieser Ansprüche gelangt. Schon in der Jugend durch körperliche Leiden auf das Kran –

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