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Alliirten in Paris erheiterten in der ersten Zeit nach dem herben Verluste N's tiefes Seclenleiden; doch erst allmählich konnte er sich wieder zur Arbeit sammeln. Er studirte, da ihm schon der Antrag nach Rom zu gehen, und dort über die Einrichtung der katholischen Kirche eine Uebereinkunft abzuschliessen, gemacht war, das kanonische Recht, schrieb auch die Vorrede zu der Schrift des Hn. v. Vincke über die Verwaltung von England; ferner die Antwort auf die damals erschienene Schrift des Prof. Schmalz über geheime Gesellschaften, welche ihn sehr gereizt hatte, und auf des Statskanzlers Verlangen ein Gutachten über Pressfreiheit. Gemeinschaftlich mit Heindorf und Buttmann arbeitete er an einer Ausgabe des von A. Mai aufgefundenen Fronto. Derselbe Schriftsteller veranlasste ihn zu einer Abhandlung für die Akademie, worin er sich zugleich über die Literatur des zweiten Jahrh., über Marcus Antoninus und seinen Fürstencharakter verbreitete; und in demselben Winter schrieb er für die Akademie die Abhandlung über die Geographie des Herodot. Die Stunden für den Kronprinzen wurden fortgesetzt; in dem Kreise seiner gelehrten Freunde fühlte er sich wieder wohl; auch in der Fürstlich Radzivillschen Familie wurde er gern gesehen und kam oft zu ihr. Im April 1816 schrieb er das Leben seines Vaters, ein Muster von Biographie, voll Leben, Liebe und Wahrheit. Um diese Zeit kam auch die Hensler mit ihrer Nichte, Tochter des verstorb. Prof. der Theol. zu Kiel, Ch. G. Hensler, versprochenermassen wieder nach Berlin. Diese hatte er von Kindheit an gekannt, und immer wegen ihres freundlichen sanften Charakters und ihres für alles Edle empfänglichen Sinnes geschätzt; jener älteren Freundin hatte er fortwährend jeden ihm wichtigen Gedanken mitgetheilt, und nichts vor ihr verborgen gehalten. So hatte er wieder liebe, befreundete Wesen um sich; sein Haus war nicht mehr öde, sein Schmerz fand Anklang und milderte sich allmählich; sein zärtliches Herz bedurfte einer hingebenden Liebe. Diese hoffte er bei der Nichte der Hensler zu finden, verlobte sich mit ihr, und heirathete sie kurz vor seiner, durch noch zurückgehaltene Ausfertigung der Instruktionen bis in den Juli 1816 aufgeschobenen, Reise nach Rom, wohin ihm zu folgen die Frau Hensler nicht zu bewegen war. So sehr auch diese zweite Ehe glücklich und durch Kinder gesegnet wurde, immer blieb seine stille Wehmuth, und wurde von seiner Frau geachtet und getheilt.

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Die 39 Briefe dieses Abschnittes sind fast alle aus Berlin, und an die Hensler gerichtet; einige an Fr.

Perthes. Sie verbreiten sich entweder über Familienverhältnisse, z. B. den Tod des alten Claudius, des Schwiegervaters von Perthes, oder sind allgemeinen Inhaltes, oder äussern sich über die bevorstehende Römische Gesandtschaft und die Verhandlungen mit dem Päpstlichen Hofe, wobei N. der katholischen Kirche, so wie an manchen anderen Stellen seiner Briefe, als eines tief gesunkenen und neu aufzurichtenden Christenthumes gedenkt; eifriger Protestant, ohne Intoleranz, war und blieb er; berichten über den Unterricht, den er dem von ihm so sehr geliebten Kronprinzen zu ertheilen hat, über seine Studien, über die von ihm herausgegebenen polemischen Schriften, und sind vor Allen ein Zeugniss seiner höchst wehmüthigen Stimmung nach dem Tode seines Vaters und seiner Frau.

Im elften Abschnitte lesen wir: Niebuhr's Römische Gesandtschaft vom Sommer 1816 bis zum Frühling 1823."

Für diesen Zeitraum seines Lebens fehlte der Herausgeberin der ergänzende Faden der mündlichen Mittheilung; auch musste bei der Entfernung die Correspondenz seltener und auf das Wichtigste beschränkt bleiben. Die Erzählung ist deswegen weniger reichhaltig, und beschränkt sich mehr auf die äusseren Ereignisse und Beziehungen des Lebens.

N's Reise ging, in Begleitung seines Legationssekretairs, des späteren Prof. zu Bonn, Hn. Brandis, über Erfurt, Würzburg und München, wo er acht Tage in der Gesellschaft seines alten Freundes Jacobi sich erheiterte, über Inspruck und Tricut auf Verona. Hier entdeckte er den Gajus, den er anfänglich für ein Mscpt. des Ulpian hielt, und meldete die Entdeckung sogleich nach Berlin. Auf der weiteren Reise sah er noch Venedig, Bologna, Florenz. Am 7. October kam er in Rom an. Auf der Reise hatte er die mannichfaltigsten Erkundigungen eingezogen über Volk, Sitten, Lebensart, Landbau, Abgrenzungen, Abgaben, u. s. w., besonders in sofern diese an das Alterthum erinnerten; aber er litt auch an öfterem Unwohlseyn, und noch mehr seine jetzt unter dem Namen,, Gretchen" in seinen Briefen häufig genannte Frau, die von Kindheit an schwächlich, und jetzt im Anfange einer Schwangerschaft war. Der Anblick Roms machte zwar einen ernsten Eindruck auf ihn; doch war ihm aus früheren Studien und langem Anschauen von Abbildungen Alles schon bekannt. Anfänglich fand er keine gute Wohnung; später miethete er eine, von ihm als sehr reizend beschriebene im Palast Savelli im Theater des Marcellus, die er bis zu seinem Abgange bewohnte. Fleissig be

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suchte er, während seine Bücher und Effecten noch nicht angekommen waren, die Vaticanische Bibliothek, und entdeckte die Fragmente der Reden des Cicero, einige Blätter vom Livius, vom Seneca und Hyginus; er cmendirte und bearbeitete sie; die Herausgabe verzögerte sich durch mancherlei Ursachen noch einige Jahre. Seine Verhältnisse zum päpstlichen Hofe, besonders zu dem ehrwürdigen Pius VII. und dessen Staatssecretair Consalvi, welche beide N. sehr achtete, gestalteten sich gleich Anfangs sehr günstig, und blieben es. Die Römer aber gefielen ihm im Allgemeinen gar nicht; er fand bei ihnen nur Genusssucht, Eitelkeit, Gewinúsucht, übergrossen Reichthum neben der bittersten Armuth, Mangel an Gemüth, an Empfänglichkeit für tiefes Wissen, für echte Religiosität und Moral, für Freundschaft und Geselligkeit, sogar den Kunstsinn und die Liebe zur Musik erstorben; auch das ganze übrige Italien, etwa mit Ausnahme von Venedig und Florenz, beurtheilte er in dieser Weise; besonders unangenehm war ihm die Mehrzahl der Geistlichen, und ihr, nach seiner Ansicht, in ein leeres Formelwesen versunkener Gottesdienst. Seine Stimmung, noch überdiess gedrückt durch die abgeschnittene und bei dem desolaten Zustande des italienischen Buchhandels wenig unterhaltene Verbindung mit Deutschland, war die erste Zeit sehr trübe, so schr er auch für seine Geschichte durch unmittelbares Anschauen und Wahrnehmen, freilich mehr in der Stadt selbst als auf dem durch Räuber unsicheren Lande Gewinn hoffen konnte; Umgang hatte er, ausser mit Brandis und Bunsen, mit Deutschen und Engländern, vorzüglich den deutschen Künstlern Cornelius, (der ihm besonders werth war), Platner, Overbeck, Koch, den beiden Schadows, weniger mit Thorwaldsen, so sehr er auch diesen als Künstler schätzte; auch sah er manche Franzosen. Allen diesen stand sein Rath und seine Empfehlung, wie seine liebevolle Freundschaft zu Gebote; oft unterstützte er auch mit namhaften Summen Hülfsbedürftige, und gross waren die dafür gebrachten Opfer. - Das Studium der Kunstschätze und Alterthümer, welches er allmählich und langsam betrieb, beschäftigte ihn für's Erste im Winter 1816 bis 1817; sehr kränkte ihn aber eine Recens. seiner Geschichte in der Jenaer Lit. Zeit., und eine andere in den Heidelberger Jahrbüchern, letztere von A. W. Schlegel; noch mehr aber die im alten Freimüthigen erhobene Beschuldigung von Garlieb Merkel, als habe er die Bruchstücke juristischer Handschriften, die den Gajus enthielten, zu Verona entwendet. Auf eine von ihm veranlasste fiskalische Untersuchung des

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Königl. Kammergerichts zu Berlin wurde Merkel bestraft. Im April 1817 gebar ihm seine Frau seinen ältesten Sohn Marcus, und jetzt öffnete sich sein Herz der Lebensfreude wieder; mit der ganzen Innigkeit seines tiefen Gemüthes nahm er den Knaben in sein Herz auf; mit der liebevollsten Sorgfalt entwarf er den Plan zu seiner Erziehung. Im Sommer dieses Jahres nach Frascati gereist, wurde er in seinen dortigen Studien über die Geschichte Griechenlands und des Orients zwischen Philipp und der Römischen Eroberung durch eine gefährliche sechs Wochen anhaltende Ruhrkrankheit unterbrochen, in welcher er seinen Tod nahe glaubte, und mit den italienischen Aerzten, die er für blosse Empiriker hielt, sehr unzufrieden war; doch fühlte er sich nach ihr, die eine Crisis gewesen war und krankhafte Stoffe ausgeschieden hatte, neu gestärkt und belebt, wenn er auch für die erste Zeit schwach und abgemagert war. Im October nach Rom zurückgekehrt fand er den Prof. Bekker aus Berlin, den er als Philologen sehr hoch schätzte, und konnte mit diesem jetzt über seine Lieblingsfächer reden. Er arbeitete auch wieder an Vorstudien zur Fortsetzung seiner Geschichte, und Prüfung der beiden ersten Bände; er sah bei den weiteren Studien sein System in allen Punkten mehr befestigt. Im Winter 1817- 18 leistete er den Genfer Abgeordneten bei ihren Verhandlungen mit dem Päpstlichen Hofe wesentliche Dienste; das Bürgerdiplom, welches die dankbare Republik ihm übersandte, nahm er gern an; ein dasselbe begleitendes Geschenk von 8000 F1. lehnte er aber entschieden ab. Den Gesandten von Bern und Luzern leistete er ähnliche Dienste. - An den kirchlichen und politischen Aufregungen der damaligen Zeit nahm er lebhaften Antheil; die Vorgänge auf der Wartburg bei Gelegenheit der Secularfeier billigte er nicht: mit grosser Schärfe spricht er sich in einem (im Texte mitge theilten) Schreiben darüber aus.

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(Die Fortsetzung folgt.)

PHILOSOPHIE.

1) LEIPZIG, b. Voss: Immanuel Kant's sämmtliche Werke. Herausgegeben von Karl Rosenkranz und Friedr. Wilh. Schubert u. s. w.

u. S. W.

(Beschluss von Nr. 51.)

Hr. R. lässt z. B. in der Vorrede zu der Kr. d. rcinen Vft., Th. II, S. 11 fg., eine über drei Seiten lange Stelle aus einem an ihn im August 1837 gerichteten Briefe des Hrn. Dr. Arthur Schopenhauer in Frank

furt a. M. abdrucken, worin Kant unwürdig behandelt, in Hinsicht auf seine Erklärungen über das Verhältniss der zweiten Ausgabe der Kr. d. reinen Vft. zur ersten, (s. Kants Vorrede zur zweiten Ausg. S. 42,) der Unwahrhaftigkeit, Unredlichkeit u. dgl. beschuldigt wird, und worin überhaupt ein Ton herrscht, welcher etwas anderes ist, als die ,,rücksichtslose Unbefangenheit," (oder unbefangene, d. i. dreiste Rücksichtslosigkeit?) welche Hr. R. von dem früheren Werke des Hn. Schopenhauer: ,, die Welt als die Welt als Wille und Vorstellung, 1819," a. a. O. rühmt. Es ist für Hn. R. wenig gewonnen, wenn er, nach jener eingerückten Stelle (S. 14 seiner Vorrede) sagt:,, die Schärfe, mit welcher Hr. Dr. Schopenhauer sich über Kants Verfahren ausspreche, habe er selbst zu vertreten;" denn dergleichen Vertretung konnte ganz erspart werden, wenn das Brieffragment, wie sich geziemt hätte, ungedruckt blieb. Der in demselben ausgegossene Tadel aber war auch Hn. R's. eignem Sinne nicht entgegen. Dies zeigt sich unter anderm auch, indirecter Weise, in den Ansichten desselben von der praktischen Philosophie Kants, deren Fundamenten, und dem Verhältnisse derselben, sowie der Kritik der Urtheilskraft, zu dem Ganzen der Kant. Philosophic. Man sche die Vorreden zu Th. IV u. VIII. In Betreff der prakt. Philosophie weiss Hr. R. in der gar kurzen Vorrede zu Th. VIII (welche die Grundlegung z. Met. d. Sitten und die Kr. d. prakt. Vernunft enthält, während die Herausgabe der Rechts- und Tugendlehre von Hn. Schubert übernommen wurde) nicht mehr zu sagen, als dass Rettung der Religiosität, durch den auf die Achtung des moralischen Subjects vor sich selbst gegründeten Glauben an das Daseyn eines eben so gerechten als gütigen Gottes, dem Herzen Kants unendlich theuer war; dass der Affect Kants für die moralische Freiheit des Menschen und alle ihm daraus sich ergebenden Folgerungen eine seltene Hoheit offenbare" und dgl. Wer über die Basis der praktischen Philosophie Kants nichts Besseres zu bemerken findet, als Vorstehendes, der hat sie noch nicht erkannt; bei dem ist es auch nicht zu verwundern, wenn er in der Kritik der Urtheilskraft zuletzt nur den, oft schon behaupteten, eigenthümlichen und sonderbaren Mangel an Verständniss seiner selbst findet, welchen Hr. R. in der Vorrede zum IV. Theile wieder hervorhebt, und auf welchen die Reihe der philosophischen Systeme seit J. G. Fichte bisher, ihr Verhältniss zu Kant anlangend, sich gestützt hat.

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Doch diese und ähnliche, zum richtigen Verständniss der sogenannt kritischen Philosophie wesentlichen Punkte näher zu erörtern, wird die Beurtheilung des XII. Theiles der Ausgabe RSch. Anlass geben. Wir behalten uns diese vor bis nach Erscheinung des XI. Theiles, welcher die Biographie Kants, die Briefe und den übrigen schriftlichen Nachlass enthalten, und von Hu. Schubert

besorgt seyn wird. Für das Urtheil der Leser, welche von beiden Ausgaben für sie die vorzüglichere sey, glauben wir in dem Bisherigen genug bemerkt zu haben. Die Leser selbst sind verschiedener Art. Manche Vorzüge der Ausgabe RSch. im Ganzen sind nicht zu verkennen, selbst abgesehen

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von dem Inhalte ihres XI. und XII. Theiles. indessen genügt, die Werke Kants für einen sehr billigen Preis, vollständig, mit Sorgfalt überarbeitet, bequem für den Gebrauch eingerichtet, möglichst correct gedruckt und in einem gefälligen Gewande zu besitzen, den wird die Ausgabe Hn. vollkommen zufrieden stellen. Das derselben, in Folge des Versprechens in der Ankündigung, beigefügte Brustbild Kants ist ein ziemlich gelungener Stahlstich; besser jeden Falls, als der im J. 1811, mit,, Imm. Kants Gedächtnissfeier zu Königsberg am 22. April 1810", bei Nicolovius ausgegebene Kupferstich; das Fac simile seiner Handschrift fehlt bis jetzt. In der Ankündigung der Ausgabe RSch. war beides, Brustbild und Schriftbild, den Subscribenten ebenfalls verheissen; es wird mit dem XI. Theile ausgegeben werden. Wie wir aber schon oben bemerkt haben, dass das gleichzeitige Erscheinen der beiden Ausgaben, so wie sie vorliegen, als ein Gewinn für die Sache betrachtet werden kann; so müssen wir schliesslich noch auf den Zeitpunkt hindeuten, in welchem durch dieselben dem selbstdenkenden Forscher der Natur in dem Gebiete der Dinge und des Geistes die erneuerte Aufforderung, sich eine gründliche Kenntniss der Kantischen Philosophie zu erwerben, geworden ist. Von den Heroen im Felde der Speculation ist der letzte abgeschieden. Seine Werke liegen vor; Persönlichkeit hat auf die Wahl zwischen ihm oder einem

Andern kaum noch einigen Einfluss. Die Philosophie selbst aber scheint augenblicklich zu ruhen, und neuc Kräfte zu sammeln. Die Liebe für sie hat das bald hell auflodernde, bald still erwärmende Feuer verloren, welches die beiden Grenzdecennien des 18. und 19. Jahrhunderts ausgezeichnet hatte. In dem jüngeren Geschlechte wollen die noch Mitlebenden aus jener Zeit weniger Sinn für philosophische Forschung finden, und wo derselbe vorhanden zu seyn scheint, wenig Klarheit, Bestimmtheit und wahre Selbstkenntniss. Da erscheint der Aufruf, sich zu Kant wieder hinzuwenden; er erscheint mehrfach; hier lässt selbst ein Gegner der Kantischen Schule ihn ergehen; die Nothwendigkeit des Sich-Besinnens ist fühlbar geworden, wäre es für Manchen auch nur, um sich desto sicherer über Kant speculativ zu erheben. Wohlan denn! So treibe, was die Zeit uns mit den Herausgaben der Werke Kants darbringt, die Genossen der Zeit kräftig an, eine Philosophie zu lehren und zu lernen, welche den Geist sich beobachten lehrt, und alle ihre Resultate nur aus solchem Beobachten des Aeussern im Innern, und des ursprünglich Innern in ihm selber, gewonnen hat! C. Weiss.

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ALLGEMEINE

LITERATUR ZEITUNG

März 1840.

VERMISCHTE SCHRIFTEN. HAMBURG, b. Perthes: Lebensnachrichten über B. G. Niebuhr, aus Briefen desselben und aus Erinnerungen einiger seiner nächsten Freunde

u. S. W.

(Fortsetzung von Nr. 52.)

Im Frühjahr 1818 hatte er den Plan, der jedoch

aus Mangel an litterärischen Hülfsmitteln nicht zur Ausführung kam, die moralische und intellectuelle Geschichte der Deutschen seit dem dreissigjährigen Kriege darzustellen; er nannte diese Zeit das Räthsel des Chaos, in das wir versunken waren; sehr erfreute ihn aber im Sommer dieses Jahres die Auffindung des Schlüssels zur oskischen Sprache. Den Verlust seines geliebten Brandis, dem seine Gesundheit der Bestimmung zum Professor der Philosophie in Bonn zu folgen gebot, ersetzte ihm die Ernennung Schmieder's zum Gesandtschaftsprediger für die protestantische Gemeinde zu Rom, und Bunsen's zum Gesandtschaftssekretair, so wie die Geburt einer Tochter im Juli 1818, (welcher nach zwei Jahren ein zweites Töchterchen folgte). In diesem Herbste hielt er sich einige Monate zu Genzano auf, und lebte überhaupt in den folgenden Jahren im Mai und Herbste, nach römischer Sitte, auf dem Lande, in Tivoli und Albano. Für die Akademie der Wissenschaften zu Berlin schrieb er im Sommer 1819 die so höchst inhaltreiche und wichtige Abhandlung über den historischen Gewinn aus der armenischen Uebersetzung der Chronik des Eusebius.

In amtlicher Hinsicht hatte N. bisher nur die laufenden Geschäfte zu verrichten gehabt. Erst im Juli 1819 langten partielle Aufträge zu Unterhandlungen, und im Juli 1820 die förmlichen Instruktionen an; einige Zeit vorher hatte auch die Hannoversche Regierung ihre Unterhandlungsprojecte mit dem Römischen Hofe zur Begutachtung ihm mittheilen lassen. Der Augenblick war aber für das Geschäft sehr ungünstig; die zu Neapel ausgebrochene Revolution sollte nach getroffener Verabredung mit den Revolutionairs zu

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Rom auch hier ausbrechen; es herrschte deswegen in Rom die ängstlichste Spannung, weil man mindestens auf einen vorübergehenden Einbruch der durch Räuber verstärkten Neapolitanischen Banden zu rechnen hatte; erst die Ankunft der Oesterreicher im Februar des folgenden Jahres machte allen Besorgnissen ein Ende. In dieser beunruhigenden Zeit hatte er auch einen grossen Verdruss mit dem nach der Vaticana versetzten Bibliothekar Mai, der in einem Journal die Behauptung aufgestellt hatte, N. habe die von ihm durch eigenes Nachdenken gefundene Ordnung der Fragmente pro Scauro, (welche Peyron in Turin durch die Entdeckung eines anderen Codex erst nach dem Drucke der Niebuhr'schen Ausgabe bestätigt fand), aus jenem neu aufgefundenen Codex heimlich entlehnt und sich angemasst; ein noch viel ärgerer Artikel in der bibliotheca italiana beschuldigte ihn bald darauf geradezu einer lügenhaften Anmassung. Jetzt liess N., der mit Mai's öffentlich gegebener Ehrenerklärung nach jener ersten Verläumdung zufrieden war, gegen diese zweite anonyme einen bündigen, ihre Nichtigkeit klar beweisenden Aufsatz drucken; und in einem besonderen, in ein Römisches Journal zugleich eingerückten, Briefe schrieb Peyron, im Januar 1821, dass er den Codex zwar im März 1820 entdeckt, aber den Aufschluss über die Stellung der Fragmente erst im September, also drei Monate nach dem Druck der Niebuhr'schen Ausgabe, gefunden habe.

In dem Winter 1820 auf 1821 war der Zusammenfluss von Fremden, (gerade wie im Winter von 1816 auf 1817), zu Rom ungewöhnlich gross. Der Kronprinz von Baiern (zum zweitenmale während N's Anwesenheit), die Prinzen Heinrich von Preussen, Christian von Dänemark, ausserdem eine grosse Anzahl vornehmer Personen, blieben fast den ganzen Winter dort, und raubten durch Gesellschaften, die anzustellen waren, N. viele Zeit. Im December 1820 erfreute ihn die Ankunft des Hn. v. Stein mit seinen beiden Töchtern. Im Febr. 1821 traf von Laibach der Staatskanzler v. Hardenberg ein. Die Uebereinkunft, welche im Allgemeinen die Herstellung einer festen

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Im Novbr. 1822 besuchte der König von Preussen Rom auf kurze Zeit, und mit einem kleinen Gefolge, unter welchem sich auch Alex. v. Humboldt befand. Auch sah er dort Pertz und Blume, die ihm beide schr theuer wurden und blieben, und den Obersten v. Schack, einen älteren Freund, aber diesen in einem sehr leidenden Zustande.

Ordnung der katholischen Kirche in allen ihren Beziehungen zum Staat, und im Specicllen die Ordnung aller Diöcesan Angelegenheiten betraf, und die sich auf die Auswechselung weitläufiger Noten stützte, hatte N. in den sieben Monaten scit Empfang der Instruktionen unter den schwierigsten Verhältnissen fertig gemacht; nur durch das persönliche Wohlwollen des Papstes und des Cardinals Consalvi wurde dieses möglich. Aber der letzte Abschluss fehlte noch, und diesen brachte jetzt der Staatskanzler in der kurzen Zeit seines Aufenthalts zu Stande. N. bot selbst die Hand dazu, und verzichtete gern vor der Welt auf den Schein, ihn zu Stande gebracht zu haben. Wie wenig aber die in öffentlichen Blättern damals ausgestreute Verläumdung, dass N. vergeblich vier Jahre an Unterhandlungen gearbeitet, die der Staatskanzler in wenigen Tagen zu Stande gebracht habe, bei denen, welche die Verhältnisse kannten, Anklang fand, beweist die bald darauf von seinem Könige unter Ausdrücken der Zufriedenheit ihm gewordene Verleihung des rothen Adlerordens zweiter Klasse. Auch von Oesterreich erhielt er, vermuthlich für einen dessen Armee geleisteten wichtigen Dienst, den Leopoldsorden erster Klasse. - Im Herbste dieses Jahres beschäftigte ihn die Lectüre der Hamann'schen Schriften, die aber seiner Erwartung nicht entsprachen, und welche er, besonders die in Bezug auf H's Charakter so zweideutigen Briefe und Auszüge aus den Tagebüchern, lieber nicht gedruckt gesehen hätte. Thätigen Antheil nahm er auch an der von Bunsen, Gerhard, Platner u. A. bearbeiteten Beschreibung von Rom, theils durch Bunsen und Brandis, theils auch durch Cotta veranlasst.

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Im August desselben Jahres arbeitete eine blindfanatischpfäffische Partei an der Zerstörung des protestantischen Gottesackers zu Rom, und N. hatte jetzt für die Gefühle aller seiner Glaubensgenossen und zugleich für die Ehre seines dabei betheiligten Freundes, des Lords Colchester, einen sehr unangenehmen Kampf zu bestehen. Einen Theil des Herbstes brachte er in Albano zu; auch machte er mit seinem Sohne, mit Bunsen und einem jungen Manne, Namens Lieber, eine kleine Reise nach Tivoli. Letzteren hatte er als Hauslehrer bei sich aufgenommen, da er missmuthig und hülflos aus Griechenland zurückgekehrt war, wohin ihn, der durch die Untersuchungen wegen politischer Umtriebe in seinen Universitäts-Studien unterbrochen worden war, Enthusiasmus für die Befreiung der Griechen geführt hatte.

N. hatte schon vor Ankunft der Instructionen lebhaft auf seine Rückkehr in die Heimath gedacht; jetzt, nach Beendigung der Unterhandlungen, erwachte dieser Wunsch wieder. Zwar war der Aufenthalt in Rom jetzt weniger unangenehm für ihn, als Anfangs; er hatte eine glänzende, unabhängige Stellung; von allen Seiten kam man ihm mit der grössten Achtung entgegen; in der Heimath, wo Alles in politische Parteien zerfallen war, glaubte er viel Unerfreuliches zu finden; auch war er ihr durch. siebenjährige Abwesenheit etwas entfremdet; die Aussicht, nach hergestellter Ruhe auf dem klassischen Boden Italiens reiche Ausbeute für die Wissenschaft zu gewinnen, erweiterte sich. Aber die Rücksicht auf den Gesundheitszustand seiner Frau, welche die fremde Luft nicht vertragen konnte, und auf seine Kinder (im Febr. 1822 war ihm eine dritte Tochter geboren), denen er deutsche Erziehung zu geben wünschte, vorzüglich seinen Sohn, in welchen er durch das Anschauen der Denkmäler des Alterthums und eigenes Unterrichten schon einen für jenes Alter reichen Schatz von Kenntniss gelegt hatte, bestimmten ihn, nach dem Rathe seines Ministerialchefs, sich für's Erste einen Urlaub auszubitten.— Im März 1823 ging er, mit seiner Familie nach Neapel, und sah alle Merkwürdigkeiten. Durch Collation eines Manuscriptes des Grammatikers Charisius glaubte er die bei ihm erhaltenen Fragmente alter Schriftsteller berichtigt, und u. a. ein ungedrucktes Fragment entdeckt zu haben, welches über den saturnischen Vers handelt, und seine Meinung darüber bestätigte. Mit dem trefflichen de Serre, französischen Gesandten zu Neapel, den er schon mehrere Male in Rom bei sich gesehen, schloss er innige Freundschaft; auch den ehemaligen Finanzminister Zurlo lernte er kennen und hochschätzen. Er verliess hierauf Italien. In Bonn erfuhr er später de Serres Tod; seine trostlose Wittwe lud ihn nach Paris ein, um Papiere zu benutzen, die sie nicht aus den Händen geben könnte, und sein Leben zu schreiben; aber noch ehe er die Reise machen konnte, raffte auch ihn der Tod dahin.

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