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ALLGEMEINE LITERATUR ZEITUNG

RECHTSWISSENSCHAFT.

März 1840.

ALTONA, b. Hammerich: Theorie des gemeinen Civilrechts. Von Dr. J. F. Kierulff, ausserordentlichem (jetzt ordentlichem) Professor der Rechte zu Kiel. Erster Band. 1839. XXXII u. 404 S. 8. (2 Rthlr. 12 gGr.)

Jurisprudenz und dem praktischen Bedürfniss der Gegenwart entsprechen soll. Vor dem funfzehnten Jahrhundert gab es noch gar keine selbstständige Theorie des fremden Rechts in Deutschland; seine Anwendung war gering, nur wenige kannten es. Mit dem Aufblühen der Universitäten begann zwar eine solche, aber ihres Stoffs nicht mächtig, unfähig aus dessen Natur von Innen heraus das Anwendbare vom Un

Wenn in einer Wissenschaft für deren Aufgabe praktischen zu unterscheiden, war sie in die Noth

und Bedeutung im Ganzen oder in einzelnen Disciplinen eine ganz neue Idee aufsteigt, oder sich als solche ankündigt, so bedarf sie einer um so grössern Aufmerksamkeit, wenn bewusstes Mächtigseyn des Stoffs und gründliches Wissen mit einer philosophisch klaren und consequenten Entwickelung und Ausführung und einer so gelungenen Darstellung zusammentreffen, wie in dem angezeigten Werke. Trifft dies in eine Zeit, wo der Streit der Schulen über jene Aufgabe von Neuem entbrannt ist, den man für erloschen hielt oder wenigstens für bedeutungslos geworden, so dass er selbst die Theilnahme der Leute, die nicht vom Fach sind, erweckt und zur Oeffentlichkeit gelangt ist; so wird sich jenes Interesse um so höher steigern, je mehr das Dringende der Anforderung hervortritt, in sich das Bewusstseyn der Aufgabe zur klaren Entschiedenheit zu bringen, oder sich darüber nochmals Rechenschaft zu geben. Die gegenwärtige Erscheinung im Gebiete des gemeinen Civilrechts kündigt sich selbst als eine solche von durchaus neuer und eigenthümlicher Art an und ist es auch in der Hauptsache, der Grundidee in Anwendung auf das gemeine Civilrecht im Ganzen wirklich. Hören wir

zuerst den Vf. selbst.

Nicht ein Gebäude des Privatrechts ins Blaue hinein will der Vf. zusammenphilosophiren (S. XXXI d. Vorr.), sondern die Theorie des gemeinen Civilrechts ausführen. Ueber die Grundidee, den Plan und das Verhältniss seines Werks zur gegenwärtigen civilistischen Literatur äussert er sich in der Einleitung1also: "Unter Theorie des gemeinen Civil - Rechts ist etwas Andres zu verstehen, als man bisher annahm, wenn der Begriff dem Entwickelungsgang der deutschen

'wendigkeit versetzt, den Grundsatz anzunehmen, dass der gesammte Inhalt des Corpus Iuris als ein gemeines Recht gelte, sobald nicht durch Landesgesetze oder Gewohnheit eine Abweichung sanctionirt,worden sey (S. X.). Derselbe fand allgemeinen Eingang und in den Reichsgesetzen Bestätigung. Die Praxis fühlte zwar seine Unzulänglichkeit, um über Anwendung und Anwendbarkeit des Rechts zu entscheiden, konnte sich aber, von der Theorie verlassen, die nicht im Stande war, sie zu belehren, nicht allein helfen und verfiel in zahlreiche Irrungen. Nachdem sich die Praxis des gemeinen Rechts über ganz Deutschland ausgebreitet, kam endlich Einheit und Uebereinstimmung in dessen praktischen Gebrauch durch dies. g. Praktiker, die sich die Aufzeichnung dessen, was praktisch sey, angelegen seyn liessen (S. XI.). Die Theorie als solche verhielt sich während dessen passiv und receptiv. Sie arbeitete nur daran die glossirten Theile des Corpus Iuris in Einklang zu bringen und begnügte sich mit der Exegese. Vom achtzehnten Jahrhundert wird das Streben rege, Einfachheit und Klarheit in die Masse zu bringen, je stärker das Gefühl der Unbefriedigung des vorhandenen Rechtszustandes hervortrat. Es sonderten sich die einzelnen Disciplinen je nach den einzelnen Vorlesungen (Prozess, Criminalrecht u. s. w.). Am Ende desselben Jahrhunderts geschah aber der erste und zwar ein doppelter Angriff auf den Grundsatz der gemeinen Gültigkeit des justinianeischen Rechts, nämlich einmal indirect durch naturrechtliche Theorieen, wonach der positive historische Rechtsstoff weggeworfen, und das ewige Recht vom subjectiven Geist erkannt, und ein innerlich zusammenhängendes System von Rechtsgrundsätzen ge

schaffen werden sollte, und direct als coordinirtes Product desselben Grundtriebes durch legislative Reformen in den bedeutendsten deutschen Ländern (S. XIII.).

Die Theorie erfuhr aber keine andere Veränderung (S. XV.), als dass man begann, die Darstellung nach der Titelfolge zu verlassen, und eine systematische Anordnung versuchte. Doch wurden manche Stimmen über die Mängel der justinianeischen Legislation, namentlich ihre Zusammenhangslosigkeit laut, nur erhob sich noch keiner bis dahin, dass das Ganze ein nur durch Machtspruch zusammengewürfeltes Aggregat sey. Hauptbestreben blieb aber der Versuch der Tilgung von Widersprüchen, wobei die Praxis zwischen den Controversen in grösster Verlegenheit blieb. Den naturrechtlichen Tendenzen und gesetzgeberischen Bestrebungen gegenüber erhob sich nun aber auch noch, ebenfalls aus dem Drange der Zeit nach einem bessern Zustande, die Schule der Rechtsgelehrten, welche die historische genannt zu werden pflegt, mit der Richtung, dass sie die naturrechtlichen Abstractionen verwirft, gleich dem Versuch der Deduction des Rechtsstoffs aus der blossen Natur des subjectiven Geistes, und den Gesetzbüchern, als unreifen Versuchen, indem die Jurisprudenz noch nicht tief genug in den Geist des vorhandenen Rechts eingedrungen sey (S. XVIII.). Dazu soll man sich erst durch Erforschung der historischen Grundlagen des in Deutschland geltenden Rechts, besonders des Wesens und der Methode der römischen Jurisprudenz befähigen. Soweit namentlich Widerspruch mit Wort und Geist des justinianeischen Rechts in der praktischen Gestaltung des gemeinen Rechts vorwalte, sey allemal ein Missbrauch vorhanden, denn nur daraus seyen

die alleinigen Normen der juristischen Ueberzeugung und gemeinen Praxis zu holen. — Allein auch diese Richtung sey falsch, denn sie halte fest an einem positiven Stoff, der zum grössten Theil todt, ausser Zusammenhang mit der Gegenwart sey. Die selbstständige Thätigkeit zur Herbeiführung eines bessern Rechtszustandes sey dadurch in unbestimmte Ferne geschoben. Es sey dabei ganz vergessen, dass das justinianeische Recht, welches sie einzig und allein gelten lassen wolle, durch die Praxis nur vermittelt und nur so lebendes Recht geworden sey, wie es sich wie es sich in dieser gestaltet habe. Dadurch sey der entsetzDadurch sey der entsetzliche Missstand entstanden, dass etwas für theoretisch richtig, aber praktisch unbrauchbar gehalten werde! und dem Praktiker oft diese Begriffe gleichbedeutend seyen (S. XX.). Ist es als ein Bedürfniss der Gegenwart anzuerkennen, dass in die Vielheit des

Rechts Einfachheit und Klarheit komme und ist nicht zu zweifeln, dass das Zeitalter zum selbstständigen Schaffen gereift sey, wo die Organisation des Rechtszustandes unternommen werden soll, so kann auch allseitige Thätigkeit beginnen zur lebendigen Rechtsentwickelung. Wie vielfach auch die Versuche fehlschlagen mögen, der Widerstreit der Kräfte wird, die Virtuosität entwickeln; denn die Aufgabe ist eben so schwer als verschieden von der der römischen Juristen, die nur einfache Principien durch juristischen Takt interpretirten, wodurch die Masse entstand die wir zu überwältigen haben. Die Originalität unserer Jurisprudenz kann nur in der Organisation dieser Masse bestehn, d. i. in der geistigen Bezwingung der vorhandenen Mannigfaltigkeit des Rechts, um die principiellen Begriffe fest und sicher hervorzuheben, den Inhalt klar zu unterscheiden und den Stoff verstandesmässig zu demonstriren. Bei dieser intellectuellen Reproduction des Rechts können die römischen Quellen nicht benutzt werden, um darnach die Operation einzurichten, sondern nur um bei Andern die Zweifel an der Richtigkeit des Resultats zu beseitigen und sich selbst in dem Glauben an sich selbst zu stärken. (In diesem Sinne nur wird das Corpus Juris citirt und gelegentlich interpretirt.) Diese Jurisprudenz fängt, wenn sie erst ihre Schule gemacht hat, nicht mit den Quellen an, sondern hört damit auf (?). Um dies zu erreichen, ist es nöthig, dass die Theorie des Rechts zur Erkenntniss ihres eigenen Wesens gelange, sich streng articulire und von Geschichte und Theorie der Gesetzgebung sondere.,,Ihr Object sind die in einem bestimmten Staat zu einer bestimmten Zeit geltenden Rechtsgrundsätze, d. h. die einfachen, höchsten, juristisch nicht deducirbaren Normen, von denen das gesammte Recht ausgehn muss." Das Wesen, die That der Theorie ist aber die Interpretation, d. h. die Entwickelung des praktischen Inhalts jenes Grundes des Rechts. Sie geht aus von den Principien, die jetzt allgemein anerkannt werden und gelten, gleichviel, wessen historischen Ursprungs sie sind, und welche particuläre Gestaltungen ihre Entwickelung angenommen hat. Ihre Resultate gewinnt sie durch freie Begriffsentwickelung, sie will dadurch die zerstreueten Einzelheiten im Zusammenhange mit den praktischen Grunddogmen aufweisen. Sie unterwirft die Masso dem Begriff; sie beruft sich zwar auf die Quellen, allein nicht als Gesetzquelle, sondern nur um deren Inhalt als mit ihren selbstständigen Deductionen übereinstimmend und dadurch als praktisches universelles Recht nachzuweisen. Eine solche Theorie muss sich

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einer doppelten Prüfung unterwerfen; zuerst handelt. es sich um die allgemeine Uebereinstimmung mit den vorausgesetzten Begriffen, welche die Grundlage der theoretischen Entwickelung bilden, und dann um die Richtigkeit der Deduction daraus (wobei freilich Verschiedenheit der individuellen Ansichten unausbleiblich ist). Das erste wäre eigentlich Sache der Legislation, die sich in ihrem Bereich hielte denn die neuern Codificationsversuche greifen dadurch geradezu der Jurisprudenz vor, dass sie die Deductionen mit sanctioniren, Alles mögliche vorher zu entscheiden suchen allein so lange dies nicht geschieht, muss die Theorie dies Geschäft übernehmen. Was nun hiernach sich ergiebt, ist gemeines praktisches Recht und lebendes deutsches, nicht Fremdrecht (bis Seite XXVII.) - In dem bisher entwickelten Sinn soll das Werk des Vfs. die Theorie des gemeinen Civilrechts ausführen. Literaturnotizen fehlen ganz, aber nicht die Berücksichtigung der von der Literatur gewonnenen Produkte.

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Die Absicht des Vfs. nun ist auf die Darstellung des im Corpus Iuris enthaltenen Rechts- auch des praktischen nicht als Gesetz gerichtet. Sein Gegenstand ist das dermalen geltende Recht, ganz abgeschn vom historischen Ursprung, so wie die Erkenntniss seiner Grundprincipien. Während die bisherige Doctrin zwar auch mit dieser Erkenntniss beschäftigt war, ging sie doch von der entgegengesetzten Voraussetzung über den Werth und die Bedeutung des Corpus Iuris aus, und suchte nur das gesammte praktische Recht darzustellen, wie es ist. Der Vf. hingegen will im Wege freier Begriffsentwickelung das schildern, wie es nach dem Geist und Sinn der als existent erkannten höchsten Principien des praktischen Rechts sey und

seyn muss.

Danach wäre denn sein Werk gewissermaassen eine philosophische Probe darauf, was die gemeine Doctrin lehrt. - Will nun der Vf. die bisherige Art, das gemeine Recht zu lernen und zu lehren verwerfen? Gewiss nicht, so lange der Zustand unseres Rechts derselbe bleibt. Er leugnet ihn nicht, und so lange er besteht, muss sich die Doctrin ihm fügen. Während also ein vollständiges Handbuch des gemeinen Civilrechts den wenigstens nach der bisherigen allgemeinen Ansicht anerkannten oder nach richtiger Ansicht anzuerkennenden Rechtsstoff liefert, will der Vf. eine philosophisch praktische Organisirung desselben versuchen.

Wie verhält sich des Vfs. Buch zur Philosophie des positiven Rechts? Diese ist durchaus reflectirender und kritischer Natur. Der Vf. hingegen sucht

die im geltenden Rechte gegebenen höchsten Grundsätze auf (S. XXIV.) und deducirt daraus das Uebrige. Er will nichts Neues schaffen, nicht Bestehendes mit einem absoluten Maasstabe messen, sondern nur das wirklich Vorhandene in einer nothwendigen Verbindung und im Zusammenhange nachweisen, und die nothwendigen Consequenzen daraus als solche zum Bewusstseyn bringen. Diese's Unternehmen im Ganzen ist eben so neu, als seine Ausführung schwer und fast colossal erscheinen muss. Betrachten wir nun die Leistung des Vfs. selbst, so drängen sich folgende Fragen auf:

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I. Hat der Vf. den Stoff vollständig ins Auge gefasst? Es muss befremden, dass er das gemeine deutsche Privatrecht nicht mit in den Kreis seiner Betrachtung ziehen will (S. XXX.), wiewohl er zugiebt, dass sein Inhalt zusammen mit dem des gemeinen Civilrechts das wirklich lebende deutsche Recht ausmacht. Ist es nun, wenn er den Zweck, dieses zu schildern und zu entwickeln erreichen will, angemessen, die Theorie beider zu sondern? Rec. muss diese Frage verneinen, glaubt auch, dass der Vf. in manchen Lehren, z. B. dem Eherecht, unmöglich beim R. R. wird stehen bleiben können, ohne das vorgesteckte Ziel zu verfehlen.

II. Darf sich die Theorie des gemeinen Rechts losreissen von dem Dogma, dass das R. R. im Ganzen recipirt sey, und Gesetzeskraft in Deutschland habe?. Diese Frage muss durchaus verneint werden. Dass das R. R. wie das canonische niemals als Gesetzesrecht für Deutschland publicirt worden sey, ist gewiss. Allein alle Schriftsteller, die dazu berufen sind, bezeugen, dass der Satz: die fremden Rechte seyen im Ganzen so bei uns recipirt, als ein Gesetzesrecht, Jahrhunderte hindurch bis auf den heutigen Tag sich geltend gemacht, und das anfängliche Widerstreben der National - Gesinnten den Romanisten gegenüber mit entschiedenstem Erfolg besiegt hat. Auch in der Praxis hat niemals hieran der leiseste Zweifel Statt gefunden. Endlich ist diese Ansicht sogar in die deutschen Reichsgesetze übergegangen und somit positiv als Dogma unseres Rechts sanctionirt worden. Auch hat die Praxis bei der Fortbildung des Rechts vorzugsweise auf R. R. gefusst, dessen richtige Erkenntniss ist also für die Behandlung des gemeinen Civilrechts von der aller entschiedensten Wichtigkeit.

III. Ist die bisherige Behandlungsmethode der Theorie des gemeinen Civilrechts in Erkenntniss and Darstellung im Vergleich zu der Richtung des Vfs. falsch? Auch diese Frage muss verneint werden. Die

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versuche; auch den übrigen darin ausgesprochenen Grundsätzen über Erkenntniss und Behandlung des Rechts wird schwerlich Jemand seinen Beifall versagen dürfen. Die naturrechtlichen Tendenzen sind aus der Mode gekommen. So bleibt denn die s. g. praktische Methode noch übrig, als im Gegensatz zu der neuen des Vfs. stehend. Worin jene bestehe? darüber erklärt sich der Vf. nicht hinlänglich. Jedenfalls besteht sie in etwas Anderem, als wie man nach dem Vf. annehmen muss, in blosser Exegese und dem Versuch systematischer Anordnung der Materic. Wir verstehen darunter die (nach unserem Dafürhalten auch richtige) Methode, welche das gemeine Civilrecht auf den Grundlagen des römischen und canonischen Rechts, unter. Berücksichtigung der Abänderungen und Erweiterungen dieser Quellen durch die Reichsgesetze, das Herkommen und die Praxis construirt, welche diesen letzteren den entschiedensten Vorzug vor dem Buchstaben des Gesetzes einräumt, sobald sie die Praxis als Rechtsquelle geeigenschaftet erkennt. Wir glauben übrigens

Praxis, sagt der Vf., habe den Uebelstand des Dogmas von der Gültigkeit des R. R. im Ganzen von Anfang an gefühlt, sey aber von der Theorie verlassen in Irrungen gerathen, und habe sich nur durch ihren Instinkt, in der Sonderung des Anwendbaren vom Unanwendbaren geholfen. Sollte es wohl einem Zweifel unterliegen können, dass das, was der Vf. hier die Theorie nenut, d.'h. die Ansichten und die Behandlung des R. R. von Seiten der lehrenden deutschen Juristen, sich der Unanwendbarkeit dieses Rechts in vielen Dingen bewusst gewesen? Dass der Praxis bei der Erkenntniss des Anwendbaren das Hauptverdienst gebühre, ist freilich ganz natürlich. Dazu hat ihr ja aber auch die Theorie die Befugniss niemals bestritten. Nur darf man nicht überschen, dass die Praxis nicht selten in Uneinigkeit mit sich selbst zerfiel, und unmöglich kann dem Vf. der Satz in seiner Unbeschränktheit zugegeben werden, dass: "nachdem die Praxis des gemeinen Rechts sich über ganz Deutschland verbreitet, die Praktiker Einheit und Uebereinstimmung in den praktischen Gebrauch des gemeinen Rechts gebracht haben." Schwerlich möchte auch der Vf. so allgemein verstanden seyn wollen, wie er denn ja auch das Daseyn praktischer Controversen und das Schwanken der Praxis in Ansehung mancher derselben nicht in Abrede stellt. Was soll ferner, wohl mit dem Ausspruch über Justinians Schöpfung, als ein zusammenhangloses Aggregat von Einzelheiten gewonnen werden, dem man sich nicht zu entziehen gewagt? und dass Niemand von den theoretischen Juristen zu der Einsicht gelangt sey, dass jener Machtspruch nur eine für seine Zeit nothwendig hervorgerufene Maassregel gewesen sey? Einmal nämlich steht die Sache doch so schlecht noch bei weitem nicht. Sodann hat ja, wie wir wissen, die Praxis und Rechtssitte längst das Ihrige gethan, um die grösste Zahl der Uebelstände zu beseitigen. Um nun seiner neuen Methode in der Erkenntniss und Behandlung der Theorie des Civilrechts zum Bedürfniss der Gegenwart Eingang zu verschaffen, verwirft der Vf. die bisher dagewesenen, nämlich die naturrechtliche, die vorzugsweise so genannte praktische, und die der historischen Schule. Wenn man auf das ursprüngliche Manifest der letzteren (Zeitschr. für geschichtl. R. W. Bd. I. S. 6. 10) einen Blick wirft, so hat ihr der Vf. in sciner Charakteristik offenbar Unrecht gethan. Diese trifft nur einzelne Anhänger derselben, oder spätere Abweichungen. Jenes Manifest streitet vielmehr nur wider die naturrechtlichen Tendenzen und verunglückten Codifications

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auch behaupten zu dürfen, dass das Ziel, welches der Vf. erstrebt, nämlich die Masse unseres Rechts zu organisiren, sic geistig zu bezwingen, jedem Systematiker vor Augen geschwebt habe, gleichviel, wie nahe er demselben gekommen sey. Nur die Wege sind freilich verschieden. Während nämlich wir übrigen Juristen einen gegebenen Stoff zu erkennen, zu ordnen und zu gliedern bemüht sind, will der Vf. den seinigen erst durch eine intellectuelle Reproduction zu demselben Zweck abstrahiren.

IV. Ist des Vfs. Methode, cine Theorie des gemeinen Civilrechts zu gewinnen, im Ganzen ausführbar? Auch diese Frage muss verneint werden. Wenn er sagt: „,,die Theorie des Rechts habe zum Gegenstand, die in einem bestimmten Staate zu einer bestimmten Zeit herrschenden Grundsätze, d. h. die allgemein anerkannten einfachen und höchsten Normen, von welchen das practisch zur Anwendung kommen sollende Recht ausgehen muss, und sie gewinne ihre Resultate durch freie Begriffsentwickelung von jenen Principien aus", - so kann durch diese Operation eine doppelte Möglichkeit eintreten, Entweder stimmen die Resultate mit dem practischen, d. h. wirklich ausgeübt werdenden Rechts detail überein oder nicht. Im zweiten Fall müssten sie nun entweder dem letzteren weichen, oder man müsste umgekehrt eine Abweichung von der Consequenz zu

lassen.

(Die Fortsetzung folgt.)

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ALLGEMEINE

LITERATUR ZEITUNG

RECHTSWISSENSCHAFT:

März 1840.

ALTONA, b. Hammerich: Theorie des gemeinen Civilrechts. Von Dr. J. F. Kierulff u. s. w.

(Fortsetzung von Nr. 41.)

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ganz auf der Linie der Darstellung nach römischem und canonischem Recht, unter dessen ausdrücklichem Anführen. Hierher gehören auch Berufungen auf übereinstimmende Meinungen der Juristen, - wozu bedürfte es dieser? Die oftmalige Bezugnahme, auch im

Die eine dieser am Schluss des vor. Stücks erwähnten Text, wegen schon deducirter Sätze auf die geschrie

Folgen kann der Vf. darum nicht wollen, weil er keinen neuen Rechtsstoff machen, sondern nur die zerstreueten Einzelheiten im Zusammenhange nachweisen will; und die andere darum nicht, weil dann alle Consequenz, alle freie Begriffsentwikkelung vergebens wäre. Mithin bleibt für den Vf. nur die erste Alternative übrig die Uebereinstimmung, welche er vorausgesetzt haben kaun und muss. Allein diese Voraussetzung trifft vielfach nicht zu. Es gibt eine unendliche Masse von einzelnen Rechtssätzen, die mit dem Begriff des Instituts, worauf sie sich beziehen, dem sie angehören, oder bei dem sie zur Sprache kommen, durchaus ausser nothwendigen Zusammenhang stehen, so dass blos die freie Begriffsentwickelung nimmermehr darauf führen wird. Nicht selten hat statt der Nothwendigkeit reiner Zufall gewaltet, oder legislatorische Laune, die sich keines. Grundes weiter bewusst war, als vielleicht dessen, ein scheinbares practisches Bedürfniss zu befriedigen. Oder sollen solche juristisch nicht deducirbaren Sätze alle als Grunddogmen erscheinen? Es ist übel, dass der Vf. kein einziges Beispiel solcher Grundnormen anführt, damit man ihn ganz verstehe. Im Buche selbst finden sich nirgends Aufklärungen hierüber, oder man müsste ein ungeheures Material von einzelnen Sätzen dafür nehmen. Mit einer überall durchgeführten freien Begriff'sentwickelung dieser Sätze geriethe man nothwendig in die philosophische Kritik des positiven Rechts hinein, oder in das s. g. Naturrecht. Der Vf. ist nun zwar in keines von beiden abgeschweift, dagegen aber ist es ihm denn freilich auch oft nicht möglich gewesen, seine Absicht durchzuführen. Als Beispiele seyen hier nur Statt vieler genannt, die ganze Lehre von der Ehre und Infamie (S. 95 — 115.) und die von der Schwägerschaft (S. 120 ff.). Die letztere hält sich, wie zu erwarten,

benen Quellen des gemeinen Rechts (z. B. S. 88. 91. 94.) könnte zwar der Vf. durch seine Bemerkung in der Einleitung allenfalls rechtfertigen, ingleichen die gar nicht seltenen historischen Entwickelungen (z. B. 83 ff. 113. 115. 250. 270. 172. 175.). Allein das kann er nicht leugnen, dass dadurch sein Zweck und seine Methode stark beeinträchtiget wird.

V. Welcher Werth ist dem Werke des Vfs. in den drreichten Resultaten, von dem Standpunkte aus betrachtet, beizulegen, den er selbst für sich eingenommen hat? Darauf antwortet der Vf., dass sich in seiner Anschauung die wahre Jurisprudenz concentrire. Allein auch das können wir nicht gelten lassen, sondern müssen die Frage anders beantworten. Die Jurisprudenz hat eine zweifache Aufgabe. Einmal die das wirklich geltende Recht zu erforschen, zu erkennen (also auch in jedem concreten Fall) und danu die, den Rechtszustand durch geläutertere Begriffe und Erkenntniss des wahren Bedürfnisses zu fördern, und also dem Gesetzgeber vorzuarbeiten, oder ihn zu ersetzen, bis er einschreitet. Ein eigenthümliches Product der letztern Hälfte ihrer Thätigkeit ist das Unternehmen des Vfs. der Absicht nach; im Resultate aber hat er das vorgesteckte Ziel durch die Natur des Stoffs, den er behandelt, nur theilweise erreichen können. Da wo es möglich war, hat er durch nicht geringen Scharfsinn, und die ihm eigene Klarheit im Denken Vieles erreicht. Es ist oft ein wahres Vergnügen, seinen Entwickelungen und Darstellungen zu folgen, und Rec. bekennt, dass er sich nicht erinnert, ein wissenschaftliches Buch mit grösserm Vergnügen gelesen und wiedergelesen zu haben. Und auch da, wo der Vf. sein Ziel nicht erreicht, werden eben seine Ausführungen und Entwikkelungen wegen gleicher Eigenschaften, als civilistische im gewöhnlichen Sinne des Worts, und als

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