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noch die evangel. Geschichte bis auf den letzten an Umfang, Sicherheit und Zeitordnung verlor, was Lucas antithetisch andeuten soll durch now-dogálav azoßs, und selber zu ersetzen verspricht aus den noλhots (den Diegeten) und ihren,, schriftlichen" Quellen. Denn dass der ursprüngliche Stoff der Sage (in den Aufsätzen nämlich) ihm so gut vorlag, als seinen Vorgängern, soll folgen aus παρέδοσαν ἡμῖν οἱ αὐτύπται. TóпTa. Und dennoch hat Lucas nur,, die Ordnung, welche seine Vorgänger der evangelischen Geschichte gegeben hatten, erweislich zu der seinigen gemacht" (II, a 382). Mit welchem Recht tadelt er sie also? Man sollte aber zuerst fragen, wie und ob er sie tadelt. Dadurch doch nicht, dass er die Vorzüge seines Werkes mit Berufung auf viele Quellen hervor hebt; denn mehr findet die unbefangene Auslegung nicht darin. Oder müsste der Gegensatz nicht mit bestimmten Worten (πολλοὶ μὲν ἐμοὶ δὲ ausgesprochen seyn, was im Griechischen so nahe lag?,,Nein, nimmermehr! wenn der gesunde Menschenverstand nicht ganz zum Lügner geworden seyn sollte" (soll). Von der Art sind des Vfs. Gegenbeweise. Es heisst aber einfach: Ἐπειδήπερ πολλοὶ — ἔδοξε καμοὶ, worin höchstens die Einschränkung liegt: Nachdem freilich (obwohl, neg). Dass aber dogáλaa am Ende des v. 3. "ganz dasselbe" bezeichne, was Lucas durch die Worte ἄνωθεν - πᾶσιν — ἀκριβῶς καθεξής zusammen ausdrücke: das ist eben auch durch den Gfrörerschen Hohlspiegel gesehen. Denn es steht deutlich daneben τῶν λόγων, λόγοι sind aber nicht πράγματα лεлληoogoonμiva", sondern der christliche Unterricht; πεπληροφορημένα”, und wenn auch die Thatsachen diesem erst Bestand und Sicherheit verleihen, so musste das nicht gerade durch die kritische Hand des Lucas gehen; es ist das Verhältniss der Geschichte Christi zur christlichen Lehre, das Lucas in jenem Wort andeutet.

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Wir mussten uns bei diesem Prolog aufhalten, weil so viel Aufhebens davon gemacht ist und so viel willkürliche Folgerungen daraus gezogen werden. Im Uebrigen können wir versichern, dass die ganze Kritik des 3. Evang. auch die Zerfällung in seine vier Hauptpartieen, aus einem bekannten Buche entlehnt wird, dessen Vf. zum Dank noch verlacht und beschimpft wird. Hr. Gf. nennt seine Sachen öfters ein Gewebe. Es ist wirklich ein solches, wozu Schleiermacher den Zettel geliefert, Hr. Gf. den Einschlag gemacht hat.

Das Ev. Lucü ist nun das älteste (etwa 80 Jahre nach Chr.).,, Denn wäre ein anderes genügendes dagewesen, so hätte der Vf. dieses scinem Gönner zu

gesandt." Etwa 5 Jahre später (nach II, b 80 scheint es, noch später) entstand aus denselben galiläischen Urkunden, wahrscheinlich, weil das erstere versandt war, das matthäische; ein kritisches Excerpt aus beiden ist Marcus. Alle drei sind pseudonym. Eine echte Schrift des Lucas und zugleich das älteste historische Denkmal im N. Test, ist der Reisebericht in der Apostel - Gesch. Ein besonderer Vorzug des 3. Evang. ist noch, dass es sich am ehesten mit dem 4. in Einklang bringen lässt. Das Gerippe" des Lucas-Ev. ist ungefähr das Johanneische.

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Der Vf. will also der Theologie, die vom Historischen abgekommen, ein Geschenk mit dem reinhistorischen Johannes machen. Diese hat Ursache, für einen Augenzeugen dankbar zu seyn, der bald mit dem Strom der Sage, bald gegen denselben schwimmt (II, a 341. 43), der sich in offenbaren Thatsachen getäuscht hat und in den Reden sich nicht mehr erinnert, der aus Leidenschaft die Thatsachen verfälscht und Reden erdichtet, die den Charakter des Redenden in ein schiefes Licht stellen (III, 330-34), der im Interesse eines Philosophems Geschichte schreibt und seinem Helden die Polemik seiner um ein halbes Jahrhundert späteren Zeit in den Mund legt (III, 335-41). Lauter Züge, welche im Gegentheil bei Bretschneider, De Wette und Strauss u. A. Verdacht erweckt haben, bei Hn. Gf. aber um so schroffer hervortreten, je r schwächer sich seine Beschönigungen daneben ausnehmen. Denn was kann es helfen, um die Glaubwürdigkeit des Zeugen zu erhärten, wenn er die Ge schichte,, blos aus polemischem Eifer" oder aus Unfähigkeit, seine eigene Erinnerung gegen die Fictionen seiner Glaubensgenossen aufrecht zu erhalten, verfälscht, oder selbst Reden fingirt, weil ,, die halberbleichte Erinnerung immer von Gefühlen des Hasses, der Liebe, der Wehmuth und andern beherrscht wird"? Eine apostolische Auctorität, durch solche Zugeständnisse erkauft, hat, wenn sie auch denkbar wäre, für die Theologie so wenig Werth als für die Geschichte. In der Art, wie der Vf. die veränderte Darstellung der Begebenheiten und namentlich der Reden erklärt oder entschuldigt, liegt aber zudem noch der auffallende Widerspruch, dass er die zugestandene bewusste Absicht, gerade so darzustellen, durch Schwäche der Erinnerung und fremde Einflüsse entschuldigt, und umgekehrt zur Rechtfertigung der Macht dieser Einflüsse sich auf Beispiele, wie Livius, Thucydides beruft, von denen die eigenen Zuthaten ausdrücklich als solche bevorwortet sind.

(Der Beschluss folgt.)

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ALLGEMEINE

THEOLOGIE.

LITERATUR ZEITUNG

März 1840.

STUTTGART, b. Schweizerbarth: Geschichte des Urchristenthums durch A. Fr. Gfrörer u. s. w.

(Beschluss von Nr. 39.)

Sehen wir nun die Gründe näher an, welche der

Vf. für die Echtheit vorbringt. Der erste ist: das Ev. Joh. ist aus Einem Gusse. Dies ist sehr wahr, es verfolgt systematisch Einen Zweck. Das kann aber eher misstrauisch machen. Der Evangelist hat ferner seinen Stoff nicht aus der Sage geschöpft: er ist unabhängig von fremder Ueberlieferung. Hier werden die Einwürfe aus dem Einzelnen widerlegt. I, 27. II, 19 bleiben dahingestellt. IV, 44 wird durch einen verschwiegenen Zwischengedanken geholfen: „Das Wörtchen yuq sollte die Zögerung in Christi Heimfahrt erklären", von welcher nirgends die Rede ist (Marc. 16, 2 ist die Verlegenheit, die durch yàọ erklärt wird, ausgedrückt). Hr. Gf. hofft vom gesunden Menschenverstand, er werde ihm beipflichten. Es ist ein wahres Unglück für Johannes, setzt er hinzu, dass so oft nicht die rechten Leute sich an dic Erklärung seines allerdings nicht leichten Evangeliums wagen." V. 33 bleibt wieder unentschieden, ob die Uebereinstimmung mit den Synoptikern auf einer „trüben Sage" oder „, auf der Wahrheit" beruhe. VI, 41. VII, 4. XII, 25 u. a. Stellen bei verschiedenen Gelegenheiten wiederholte Aussprüche Christi. XIII, 18. 19,,gemacht"; V. 20 fehlen die Zwischengedanken: wenn ich auch sagte (was V. 16 steht), so gilt doch auch der andere Grundsatz: Wer u. s. w. (V. 20). Das,, Räthsel ist natürlich und sachgemäss gelöst. XIV, 31 fiel dem Schriftsteller nachher noch Anderes ein, er hielt es aber nicht der Mühe werth, auszustreichen. "" Ganz natürlich und Etwas, das noch täglich Schriftstellern widerfährt." Eine so trûbe Erinnerung ist aber nicht besser als die trübe Sage. Die angeblichen Irrthümer werden beseitigt: I, 28 Bethania statt Bethabara sey nicht mehr gefehlt, als wenn ein würtembergischer Historiograph Flachselfingen statt Sindelfingen schriebe. Es habe aber doch vielleicht ein Bethania,,jenseit des Jordans" gegeben,

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das in den Kriegen zerstört worden sey. IV, 5 wird do nach Lightfoot u. A. als Spottname erklärt, Sizde und mit Ganslosen verglichen. Edel im Munde des sanften Jüngers, das muss man gestehen, wäre bei so ernsthaften Dingen der Spitzname, während er den rechten vermöge der Anspielung auf Jos. 24, 32 kennen musste. X, 7 Messianische Allegorie, statt ἀπεσταλμένον. ΧΙ, 49 ἀρχιερεὺς τοῦ ἐνιαυτοῦ ἐκείνου Accommodation an die Asiarchen; da die Frage aber im Dunkeln ist, ob es Einer oder Mehrere waren, also diese Auskunft doch nicht hinreicht, so wird noch der häufige Wechsel der Hohenpriester nach Josephus" herbeigezogen. Die historische Mathematik wird aber Hrn. Gf. lehren, dass zwei schwache Gründe für nur einen starken Verdacht gegen abgeben. Der häufige Ausdruck, die Juden" wird aus Hass, bitterer Erinnerung u. s. w. erklärt. Und diese Erklärungen veranlassen Hrn. Gf. zu dem Ausruf, wie kläglich die Einwürfe der Gegner in sich zusammenstürzeu! Stolz auf diesen Triumph gibt der Vf. in Beziehung auf die Reden viel zu Viel zu. Zwei Drittheile des Ev. können gemachte Arbeit seyn"; auch Bilder und Antithesen zählt er hinzu. „, Kurz, Alles ist das Machwerk eines Christen, der seine Träumereien für Geschichte ausgibt. Unter zehn Fällen solcher Art wird dieser Schluss acht oder neun Mal die Wahrheit treffen." Jesus ist der vornen beschriebene Logos: dieser Satz ist das Thema, die einzelnen Reden sind seine Variationen." seine Variationen." Nun wird aber gleich ein Unterschied gemacht und den Folgerungen ein Damm gedass setzt. Es folgt zwar aus mehreren Stellen, andere Personen, wie Johannes, Nikodemus, weder dieselben Ausdrücke gebraucht, noch überhaupt in ähnlichem Sinne gesprochen haben; es folgt aber nicht, dass „, der Herr nicht dem Sinn nach Aehnliches gesagt hat", wie der Evangelist ihn sagen lässt. Das Warum sieht man nicht ein. Erstaunen muss man aber, wenn man auf einmal Hrn. Gf., den erklärten Feind aller Philosophie, davon reden hört, dass eine Philosophie dem Historiker nöthig und unabweisbar sey", und diese Philosophie des 4. Evangeliums mache dasselbe eben zum Evangelium für die

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neue Zeit! Den Schluss von den Reden auf den Bericht der Thaten weist der Vf. damit ab, dass er umgekehrt schliesst! - Um den historischen Charakter einer Urkunde zu ermitteln, stellt er die 3 Kriterien auf: Was gegen die Vorurtheile des Berichterstatters ist, worin verschiedene Zeugen übereinstimmen, und wozu noch innere Wahrscheinlichkeit kommt, muss wahr seyn. Mit diesen Prämissen nimmt Hr. Gf. seinen Beweis im III. Hptth. von vorn wieder auf, und will die bisher errungenen Waffen weit von sich wegschleudern und keinen Gebrauch davon machen." Daran thäte er nicht übel; denn seine Widerlegungen der Einwürfe von Seiten der Gegner sind nicht nur unbegründet, zum Theil abgeschmackt, sondern sie lei den auch an der Einseitigkeit, dass der Vf. die anstössigen Stellen ausser Zusammenhang mit der ganzen Eigenthümlichkeit des Evangeliums betrachtet, welchem Zusammenhang natürlich allein sie beweisende Kraft haben. Was nun die Anwendung seiner Was nun die Anwendung seiner Kriterien betrifft, so setzt er für das erste gewisse Vorurtheile des 4. Evangelisten voraus, die mit den philosophischen Grundansichten und mit dem Ton der Darstellung im Widerspruch sind. Alles Jüdische, Ebionitische, Chiliastische ist hier abgestreift und wenn Johannes die Auferstehung des Fleisches und einigermaassen die Wiederkunft Christi zu behaupten scheint, so sind dies Dogmen, die kein christlicher Schriftsteller zu keiner Zeit verleugnen durfte ohne Haretiker zu seyn; und überdies ist die Behauptung der ersteren nur schwach, und die letztere ist zu dem Begriff des Paraklet vergeistigt. Alles das sind nur Spuren einer schon durch philosophische Einflüsse weiter gediehenen Entwickelung des Urchristenthums, und führen über das apostolische Zeitalter herab. Wenn aber der Vf. die höhere Einsicht in das messianische Werk dem 4. Evangelium blos als getreue Ueberlieferung, nicht als Miteigenthum des Evangelisten vindicirt, weil dessen Vorurtheile damit streiten, so geräth er in eine doppelte Verwicklung, indem er theils Jesu eine Täuschung der Jünger in Betreff der Parusie zur Last legen muss, aus welcher die synoptische Ansicht und die persönliche des Johannes entsprungen sey, und welche zu entschuldigen ihm nicht gelingen will; theils neben dieser doch auch bestimmte und klare Andeutungen der wahren. Meinung des Erlösers in seinen Vorträgen an die Jünger voraussetzt, aus welchen die johanneische Darstellung habe gebildet werden können (III, 51–81). Uebrigens soll die historische Treue des Johannes gegenüber seinen Vorurtheilen hauptsächlich aus sei

nem Stillschweigen über manche Vorfälle, die.denselben entsprächen, hervorgehen, wie über die Versuchungs - Geschichte, die Verklärung u. dergl. Dieser Beweis wird aber vollständig aufgewogen durch das entgegengesetzte Ergebniss, dass er in andern Begebenheiten, die er wirklich kennt und erzählt, dem Vorurtheil und messianischen Vorbildern zu viel eingeräumt habe. So war das Wunder zu Kana nicht im Geringsten das, wofür es der Evangelist hält; denn ,, wozu nach Taschenspielerart Wein aus Wasser machen, wenn man ihn um einen Gulden haben kann? oder wozu die Krüge vorher ausleeren, wenn man sie nicht mit Wein statt Wasser füllen sollte?" Der Evangelist war aber einmal in der jüdischen Erwartung befangen, dass der Messias sein erstes Wunder in Galiläa thun werde, und darum nahm er einen an sich ganz natürlichen Hergang dafür. ,, Sollte Jemand einwenden, setzt Hr. Gf. hinzu, ein Augenzeuge werde sich doch so arg nicht selbst täuschen können, so sag' ich ihm ins Gesicht, dass er das menschliche Herz nicht kennt." (III, 311.) Ebenso natürlich war die Speisung der 5000 Mann; nur durch die Beziehung auf den mosaischen Typus des Manna wird sie wunderbar. Der eigentliche Hergang ist in Dr. Paulus' Commentar zu lesen. Ein absichtliches Verschweigen eines dem Evangelisten nicht unbekannten Umstandes, dass nämlich Jesus von Johannes getauft wurde, auf welches erst D. Baur aufmerksam gemacht hat, wollen wir dem Vf., der (II, a 155) das Gegentheil voraussetzt, nicht einmal entgegenhalten, wohl aber die Uebergehung der Nachtmahlstiftung, die den Vf. (III, 206) in nicht geringe Verlegenheit setzt. Eine gewisse Absichtlichkeit räumt aber Hr. Gf. insofern ein, als der Evangelist die wenigen Heilungen, die er erzählt, gerade auf Sabbathe verlegt, offenbar, um die Streitreden mit den Pharisäern daran zu knüpfen. Nun verwirft aber der Vf. cinen ganzen Abschnitt (IX, 13—35), der eine solche Streitrede der Pharisäer mit dem Geheilten enthält, als Zuthat des Evangelisten: eine Zuthat, die sich doch wahrlich nicht aus Schwäche der Erinnerung oder aus Nachgiebigkeit gegen die Sage erklāren lässt. Der Vf. crklärt sie für unhistorisch, weil sie Absurditäten enthalte.

Wie endlich Hr. Gf. die beiden andern Kriterien anwendet, davon ist die Auferweckung des Lazarus nach seiner Auslegung ein merkwürdiges Beispiel. Die Unwahrscheinlichkeiten, ja Unmöglichkeiten sollen sich hier mit jedem Worte häufen, und dennoch Andeutungen nebenhergehen, worin jedes Wort hi

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storisch sey. Das wäre die innere Uebereinstimmung des Erzählten. Die ursprüngliche Gestalt der Erzählung ist bei Lucas in der Geschichte vom Jüngling zu Nain (=Ania, sc. Beth -); nur dass dort in der Sage die wahren Namen verloren sind. Das wäre die Uebereinstimmung verschiedenartiger Zeugen. Ich glaube, dieses Beispiel von Kritik wird Jedem genug seyn, um über das Ganze zu urtheilen. Zudem soll ja das Gerippe des Lucas der wahre Johannes seyn; hier wäre umgekehrt ein Gerippe aus dem letzteren der wahre Synoptiker; aber auch diess nur stückweise, wie es die Willkür herausreisst, während vorn herein, bis zur Katastrophe im Leben JeJohannes mit Lucas wenigstens stillschweigend übereinstimmt" (II, a 217)! Wenn sich indess auch die angebliche Uebereinstimmung zwischen dem 3. und 4. Evangelisten ergeben hätte, was nicht der Fall ist, so würde sie cher Zuviel beweisen, da Matthäus oft noch die reinere und ursprünglichere Sage bewahrt haben soll. Aus diesem Grunde können wir auch namentlich auf die Uebereinstimmung in der Leidensgeschichte kein Gewicht legen; es ist begreiflich, dass hierin dem Johannes durchaus der Vorzug gegeben wird. Wenn aber Hr. Gf. so oft aus der Natürlichkeit, Genauigkeit u. s. w. hier, wie auch sonst (II, a339; III, 190 u. a.) argumentirt, so muss er ganz vergessen haben, wie unbarmherzig er selbst II, a 183 flg.) über den ,,Anschaulichkeitsbeweis" und seinen vermeintlichen Urheber, den sel. Schleiermacher, herfällt. Der Beweis aus innerer Wahrscheinlichkeit hat gewiss immer etwas Missliches, weil da viel subjective Meinung mit unterläuft, und mit Sicherheit kann er nur dann angewendet werden, wenn die kleinen Züge in der Darstellung mit dem sonsther bekannten Detail in Zeit, Ort, Sitte u. s. w. übereinstimmen. Eine zufällige Zeitbestimmung (,, es war um die neunte Stunde" und dergl.) kann der Spätere eben so gut gemacht, als der Augenzeuge überliefert haben, zumal wenn er sie auch dann gibt, wo er nicht dabei war, wie IV, 52; und der Verdacht wird verstärkt, wenn die Chronologie der Schrift dem angenommenen Verfasser nicht angemessen ist, was beim 4. Evangelium unleugbar zutrifft. Wer aber über die,, Neugierde der griechischen Juden" (XIV, 20.) ausrufen kanu: „Wer wird so Etwas erfinden!", der verräth gar zu deutlich, der verräth gar zu deutlich, dass er seine Meinung um jeden Preis der Welt aufreden will.

Das letzte Kapitel hält der Vf. für fremden Zusatz, und sicht in V. 24 mit Lücke und And, das älte

ste Zeugniss für die Authentie des Evangeliums. Nach seiner Art und Fassung kann man aber diesem Zeugniss keinen andern Werth beilegen, als den Selbstzeugnissen I, 24 und I ep. I, 2 auf welche sich Hr. Gf. ebenfalls beruft. Dieser Werth sinkt in dem Maasse, als Einem das sonderbare Versteckspielen des Verfassers durch das ganze Evangelium verdächtig wird. Man kann sogar den Beweis umkehren und sagen, die Betheuerung der Echtheit im 24. V. deute auf die frühesten Zweifel an derselben hin.

Ueber Ort und Zeit der Abfassung enthält das 4. Evangelium einige Andeutungen. Aus den geographischen Erklärungen noch mehr als aus XI, 49. XVIII, 13 folgt, dass es ausserhalb Palästina geschrieben ist; wenn aber Hr. Gf. in diesen beiden Stel-len eine Hinweisung auf Ephesus findet, so beruht dies auf der willkürlichen und sehr unwahrscheinlichen Voraussetzung, dass die unhistorische Datirung in denselben eine Vergleichung mit den (ephesinischen) Asiarchen in sich schliesse. Beruft er sich aber auf die Tradition von dem Aufenthalt des Apostels zu Ephesus und seinem hohen Alter, so reimt sich das schlecht mit seiner Verwerfung der ältesten Zeugnisse bei den Vätern. Mit Recht schliesst der Vf. aus XI, 48, dass das Evangelium nach der Zerstörung des Tempels geschrieben sey; eine deutlichere Spur von der Zeit der Abfassung, auf welche unseres Wissens noch Niemand gekommen ist, findet Rec. in V. 43. Denn los hier collectiv zu nehmen, und auf eine Reihe falscher Messiasse zu beziehen (Bengel, Lücke u. A.), erlaubt der N. Test. Sprachgebrauch nicht, in welchem es nie collectiv vorkommt (so wenig als bei Profanschriftstellern). Dass es

hos nicht heissen kann, ist klar; denn alsdann würde der falsche dem wahren Messias gleichgestellt. Ist aber nur Einer damit gemeint, so kann es keiner der Vielen seyn, die kurz vor und nach der Zerstörung auftraten; es muss ein Einziger, Ausgezeichneter seyn, und das war Barkochba. Das Evangelium ist dann nicht vor dem J. 135 geschrieben. In Betracht dieser so deutlichen Spur muss man aufmerksam werden, wenn es (III, 337) „, schon in Johames Tagen (d. h. zur Zeit der Abfassung des 4. Ev.) Arianer ante Arium gab: X, 29. XIV, 28; um so mehr, als sich aus jener Andeutung auch das so späte Bekanntwerden des johanneischen Evangeliums' vollkommen erklären lässt.

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Fassen wir die bisherigen Einzelheiten zusammen, so wird sich uns die Bemerkung von selbst aufdrängen, dass Hr. Gf. nicht nur die Anerkennung des

Johannes - Evangeliums nicht gefördert, sondern sogar den Gegnern wesentlich in die Hände gearbeitet hat. Zugleich zeigt sich auch, dass auf dem bisherigen Wege der Kritik des Einzelnen die Frage nie genügend gelöst wird. Und dennoch glaubt Rec. nicht mit de Wette und Anderen, dass auf eine endliche Entscheidung überhaupt verzichtet werden muss. Für den Standpunkt einer umfassenden und erschöpfenden Untersuchung genügen freilich auch nicht jene Allgemeinheiten von Philonismus, Hellenismus u. s. w., unter deren Einfluss die Schrift entstanden ist. Sie sind, wie die dialektische Form der Gespräche, nur unterstützende Momente. Die leitenden Gesichtspunkte müssen seyn: 1) das Evangelium als Ganzes, als Kunstwerk, in welchem ein planmässiger Fortschritt von Verwicklung bis zur Katastrophe, und von dieser an die Entwickelung bis zum Siege sichtbar ist; das kann nur das Werk eines mit der Kunst der Alten vertrauten Urhebers seyn; 2) die Charakterzeichnung des versteckt angedeuteten Verfassers in ihrem Verhältniss zu dem Johannes der ältesten christlichen Ueberlieferung (in den Synoptikern); 3) das Verhältniss, zur Apocalypse und deren Berechtigung in der apostolischen Weltansicht, die überdiess, wenn auch nicht durch das Zeugniss, schon durch das Daseyn von (sey es auch nur mittelbaren) Johannesschülern, wie Papias und Irenaeus, nicht wenig gesichert wäre. Rec. behält sich vor, diese Puncte anderswo auszuführen. Warum es Hrn. Gf. nicht gelungen, die Frage überzeugend zu lösen, ist leicht einzusehen: es war ihm gar nicht um eine gründliche und unbefangene Untersuchung der johanneischen Schriften, sondern um einen Augenzeugen zu jedem Preis zu thun, und er verfährt dabei häufig nicht entfernt kritisch, sondern gerade so defensiv, wie die Orthodoxen, die er verspottet. Bei der gänzlichen Entleerung aber von allem Specifisch - Christlichen, die der Vf. mit ihm vornimmt, ist dieser Augenzeuge ihm selbst nutzlos geworden. Hr. Gf. wollte den Zweifel an der evangelischen Geschichte auf immer zum Schweigen bringen; er hat ihn aber, was die Wirkung eines jeden verunglückten `VertheidigungsVersuches ist, nur verstärkt. Wenn man freilich die Seele aus dem Körper zieht, so hat es mit dem Zweifel an seinem Leben ein Ende.

Um schliesslich ein Wort über die Darstellung zu sagen, die bei einem,, Geschichtswerk" doch auch in Betracht kommt, so ist die Sprache des Vfs. zwar durchaus klar, aber neben einer ermüdenden Einför migkeit und Breite nicht selten nachlässig und sogar

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fehlerhaft z. B. bitter sehen zu Etwas (1, a 43), unausstehlich statt unwiderstehlich (III, 20), in Mund legen statt in den Mund legen (häufig), auch Provinzialismen fehlen nicht, wie Haue statt Hacke (I, a 156. 163). Hr. Gf. gefällt sich ferner bald in einer widrigen Derbheit, bald in einem Haschen nach Effect, in Abschweifungen und gezwungenen oder auch geziert modernen Phrasen. Ein belustigendes Beispiel von seiner Darstellungs-Art wollen wir noch hersetzen. Den Einzug in Jerusalem schildert der Vf.;also ; Bei seinem Einzug in die Hauptstadt kamen Jesu zwar Volkshaufen entgegen, die Ihm freudig huldig→ ten; wir wollen dieselben freigebig auf etliche Tausende anschlagen. Aber was waren sie gegen die Hunderttausende, die damals in Jerusalem sich befanden! Denn die Stadt wimmelte besonders am Osterfeste von Menschen, etwa wie es in London war bei der jüngstvergangenen Krönung der Königin Victoria, wie es in Mailand der Fall war bei der jüngsten Krönung des Enkels und Erben unserer deutschen Kaiser. Während Sein Herz sich nach Mitgefühl, nach Empfänglichkeit der Massen für seine Plane sehnte, erblickte der Herr nur gleichgültige, vielleicht abgeneigte Gesichter, und der einzige Beweis von einiger Aufmerksamkeit für Seine Person war die neugierige Bitte jener griechischen Juden. Sie wünschten Ihn zu sehen, sicherlich in derselben Absicht, in der heut zu Tage gedankenlose Reisende sich bei ir→ gend einem berühmten deutschen Gelehrten anmelden lassen, nämlich um nachher sagen zu können, się hätten ihn vorne und hinten beschen. Der Unglaube der Vielen, die zweideutige Neugier der Wenigen that dem Herrn gleich wehe; stärker als sonst stieg die Ahnung in Ihm auf, dass Er nur im Tode triumphiren werde. Da Er aber fühlte, wie ein Mensch, so ward Er zugleich erschüttert durch den Gedanken an das nahende Geschick, und Er sprach den Wunsch aus, desselben enthoben zu seyn, doch mit überwiegender Ergebung in den höheren Willen. — — Eine trübe Erinnerung dieser Reden Jesu, welche Johannes richtig erzählt, scheint sich in der Sage erhalten und im Bunde mit den andern Hebeln, die ich oben enthüllte, Anlass zu der Scene in Gethsemane gegeben zu haben.

Man rühmt sonst die rücksichtslose, unbefangene und gründliche Forschung des Hrn. Gf; in dieser Schrift hat er sie nicht bewiesen und das Ganze ist, an die Versprechungen der Vorrede gehalten, im günstigsten Falle als ein ungeheurer Selbstbetrug zu betrachten. Schnitzer.

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